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Charme der Unschärfe

Multimedial: Bei der Premiere der Business-Satire „Die Direktoren“ am Schauspielhaus Bochum spielte neben Harald Schmidt auch die örtliche Sparkasse eine tragende Rolle

Der virtuelle Raum siegte bei der Livemontage souverän über den realen

Freudig erregt und orientierungslos erkundet das Premierenpublikum die oberste Etage der Sparkasse Bochum. Wer ist doch gleich, fragt man sich, der Typ da mit dem leicht verwirrten Gesichtsausdruck? Ach ja: Manuel Andrack aus der „Harald Schmidt Show“.

Früher oder später stoßen dann Herr Andrack und alle anderen auf junge Menschen in korrektem Grau, die das System erläutern: Der Buchstabe auf der Eintrittskarte weist den Weg. Das Publikum verteilt sich auf die Säle A, B, C.

C hat gewisse Vorteile: Da kann man Promis begucken. Landeskulturminister Vesper sitzt isoliert; Ministerpräsident Clement muss unbedingt noch eine Dame begrüßen, die demnach auch wichtig ist; Helge Schneider ist spät dran. Aber alle sind sie gekommen. Denn in Bochum spielt wieder einer der Ihren: Andracks Chef.

Harald Schmidt, mittlerweile reguläres Mitglied des Ensembles am Bochumer Schauspielhaus, hat die Rolle des Montparnasse in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Die Direktoren“, einer französischen Business-Satire von Daniel Besse. Zusammen mit Felix Vörtler und Martin Rentzsch nimmt Schmidt Platz an einem edel gedeckten Tisch: das Arbeitsessen dreier Manager aus der Rüstungsbranche.

Die Zuschauer in den anderen Räumen sehen die Szene per Leinwandprojektion. Später wird das Geschehen auch zu ihnen wandern, aber zunächst hat man den Star nur in Saal C leibhaftig vor der Nase.

Ein weiteres Privileg also. Das Dumme ist nur: Als Raum ist der Raum denkbar unattraktiv. Nebenan muss man einen halbwegs erhabenen Blick über die Bochumer Innenstadt haben. Dort vermittelt sich womöglich, warum Matthias Hartmann hier inszenieren wollte; dort korrespondiert womöglich die architektonische Selbstdarstellung der Sparkasse mit den Machtspielen der Figuren.

Saal C jedoch ist eine 90er-Jahre-Cafeteria, wie sie auch in einem Jugendhotel zu erwarten wäre. Es entsteht nicht einmal das Gefühl, besonders dicht am Geschehen zu sein. Von den Schauspielern ist Vörtlers Rücken noch am besten zu sehen. Die Stimmen dringen dumpf aus Lautsprechern. Der virtuelle Raum der Leinwände siegt an diesem Abend souverän über den realen.

Ein halbes Dutzend Kameraleute umkreist die Schauspieler, um die Beamer zu beschicken. Die Livemontage gerät anfangs ins Stolpern, aber nach und nach erreichen die Szenen eine beachtliche Eindringlichkeit. Im Detail kann man die mimischen Hinterhältigkeiten des Intriganten Denfert verfolgen: Martin Horn lächelt naiv oder drückt die Lippen in betrübtem Ernst aufeinander – sein Denfert wirkt wie ein harmloser Bürokrat, obwohl er einen Kollegen per Verleumdung in den Selbstmord treibt. Auf dem Gesicht von Martin Rentzsch, der das Opfer spielt, verschwindet der verschmitzte Zug aus den Mundwinkeln, die Sorge steigt in die Stirn. Schmidt zeigt in der Rolle des ranghöchsten Direktors bildschirmerprobte Ausdrücke: eine Karikatur der Arroganz – Augenbrauen hoch, und die Zunge pult in der Backe.

Die Videobilder tragen die raue Oberfläche des Spontanen: die Farben verwaschen, die Schärfe schwankend. Figuren sind angeschnitten, ertrinken im Gegenlicht. Die Leinwandwelt verrät in jedem Augenblick ihre Medialität. Doch weil sie ungekünstelt daherkommen, wirken die Bilder unwiderlegbar: Dogma-Style. Allerdings mit einer zusätzlichen Drehung: Die Audiovision beteuert nicht nur ihre Authentizität, sondern bildet sogar etwas Anwesendes ab.

Die Signale aus dem Beamer mischen sich mit dem Wissen um die körperliche Präsenz der Schauspieler. Ein beeindruckender Effekt, größte Direktheit bei offensichtlicher Technizität. Das wäre der Inszenierung im Schauspielhaus vermutlich nicht gelungen. Der Theaterraum steht allzu sehr für Fiktion. So betrachtet hat es sich doch gelohnt, den Weg in die Sparkassen-Cafeteria zu suchen. MORTEN KANSTEINER

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