: Der Fluch des Diamanten
In Sierra Leone, dem ärmsten Land der Welt, fanden Schürfer kurz vor den Wahlen im Mai den zweitgrößten Rohdiamanten der Geschichte. Er hätte die Staatskasse wirtschaftlich sanieren können. Aber jetzt ist er verschwunden
FREETOWN taz ■ In Sierra Leone ist der Wahlkampfrausch vorbei. Auch der Blutrausch des Bürgerkriegs gehört der Vergangenheit an. Aber nun verfällt das Land einem anderen, altbekannten Rausch: dem Diamentenfieber. Vor kurzem fanden Schürfer in den Diamantenfeldern der Region Kono im Osten des westafrikanischen Landes zwei außergewöhnlich große Kristalle: der eine 110 Karat schwer, der andere sogar fast 1.400 Karat. Letzterer ist der zweitgrößte Rohdiamant, der jemals gefunden wurde.
Der Fund vom 22. April versprach also sagenhafte Reichtümer – und auch viel Geld für Sierra Leones marode Staatskasse. Denn nach dem im vergangenen Jahr eingeführten Zertifikatssystem muss jeder in Sierra Leone gefundene Diamant von den Behörden registriert werden, bevor er exportiert werden darf.
Schmuggel von Diamanten war ein Hauptgrund für den Bürgerkrieg zwischen den Rebellen der Revolutionary United Front (RUF) und der Regierung. Die RUF sicherte sich die Kontrolle über Sierra Leones Diamantenfelder und machte gemeinsame Sache mit Zwischenhändlern aus dem benachbarten Liberia. Um der RUF das wirtschaftliche Rückgrat zu brechen, verbot die UNO den Handel mit den „Blutdiamanten“ und verhängte gegen Liberia Sanktionen.
Aber Schmuggel von Edelsteinen ist in Sierra Leone viel älter als der Bürgerkrieg. Er ist so alt wie der Diamantenabbau selbst. So stößt das Schicksal des Riesendiamanten nun auf reges Interesse. Denn das Volk hat in all den Jahrzehnten des Diamantenabbaus am wenigsten vom Reichtum des Landes abbekommen, und viele hofften, dass mit dem Kriegsende und den Wahlen mehr Transparenz in den Handel einkehren würde. Doch nur der Erlös des kleineren Steins ging offiziell an den Fiskus.
Gerüchte besagen, dass die Versteuerung des kleineren Diamanten davon ablenken sollte, dass der größere Stein außer Landes geschmuggelt wurde. Der 1.400-Karat-Diamant blieb verschwunden. Die Regierung und der zuständige Minister sagten, sie wüssten von nichts. Sie machten die Grenzen dicht, damit der Riesendiamant nicht exportiert würde – aber die sind so löchrig wie die Staatskasse.
Aber Ende Mai enthüllte die sierra-leonische Zeitung Peepa in einer Titelgeschichte, die auf Recherchen bis nach Belgien beruhte, das Schicksal des verschwundenen Diamanten. Demnach sollen libanesische Händler den Stein nach Antwerpen geschmuggelt und ihn für über 25 Millionen US-Dollar verkauft haben. Experten vermuten, dass er nun in einen 500-Karat-Kristall und mehrere kleine Diamanten geschliffen wird. Der Wert des Ganzen könnte dann bei rund 100 Millionen US-Dollar liegen.
Dieses Geld geht Sierra Leone nun verloren. Und viele fragen sich, inwieweit sich die Regierung in Nichtkenntnis wiegen darf. Vorwürfe und Indizien für Misswirtschaft und Betrug mehren sich in dem Land, wo die UNO ihre weltweit größte Friedensmission unterhält. Nach dem Ende des Bürgerkriegs standen die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai hauptsächlich im Zeichen des Friedenschaffens. Sachfragen oder eine Bilanz der Regierung von Präsident Tejan Ahmed Kabbah standen im Hintergrund. Aber die Lebenssituation der meisten Sierra-Leoner hat sich während des Krieges verschlechtert, und der Wunsch nach verantwortlichem Regieren wächst. In einem Rundfunkprogramm, in dem Hörer live ihre Meinung sagen konnten, äußerten sich viele wutschnaubend über die Diamantenaffäre. Sierra Leones neuer Diamantensegen könnte der gerade triumphal wiedergewählten Regierung noch zum Fluch werden. HAKEEM JIMO
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen