Schröder an seine Jünger: Gehet hin zu den Menschen

Der SPD-Chef glaubt nicht mehr an ein Wunder aus eigener Kraft. Jetzt soll die Basis für ihn siegen - und Schröder macht ihr Mut. Der Parteitag feiert ihn für eine sozialdemokratische Rede

BERLIN taz ■ Mit der Beschwörung sozialdemokratischer Werte, einer klaren Abgrenzung zur Union und scharfen Angriffen gegen die FDP hat SPD-Chef Gerhard Schröder seine Partei zur Verteidigung der Regierungsmacht aufgerufen. Am Ende seiner 90-minütigen Rede auf dem Wahlparteitag in Berlin schickte der Kanzler ganz im Stile eines sozialdemokratischen Jesus Christus seine Jünger hinaus ins Land, um endlich zu kämpfen. „Wahlen gewinnt man nicht von alleine, sondern nur durch Kampf“, rief er unter zehnminütigem tosendem Beifall der 500 Delegierten am Ende seiner Rede. „Und nun geht zu den Menschen und sagt ihnen selbstbewusst und frei heraus: Der Mut wächst.“ Die Anspielung auf den Titel des neuen Lafontaine-Buches („Die Wut wächst“) verstanden alle.

Emotional eindringlich warb Schröder für eine Fortsetzung seiner „Politik der sozialen Erneuerung“. Bei der Bundestagswahl am 22. September gehe es um eine „Richtungsentscheidung von wirklich weitreichender Bedeutung“. Union und FDP würden nur „Rezepte von vorgestern und Personen von vorgestern“ aufbieten. Die SPD hingegen sei die einzige Partei, die der „notwendigen gesellschaftlichen Erneuerung ein menschliches Gesicht“ geben könne, sagte Schröder.

Im gestern verabschiedeten Wahlprogramm werben die Sozialdemokraten für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition. Eine Koalition mit der FDP hingegen schloss Schröder aus, wenn sie im Antisemitismusstreit mit dem Zentralrat der Juden nicht einlenke. „In dieser Formation mögen sie willig zum Regieren sein“, so der Kanzler, „fähig dazu sind sie nicht.“ Die FDP müsse sich entscheiden „zwischen der guten liberalen Tradition und dem Kurs des Fallschirmakrobaten“. Ein Antrag der Jusos, eine Koalition mit der FDP formal auszuschließen, wurde gar nicht erst zur Abstimmung gestellt. Aus Angst davor, dass der Antrag eine Mehrheit bekommen und der SPD so eine Koalitionsoption verbauen könnte, verabschiedete der SPD-Bundesvorstand am Tag vor dem Parteitag eine scharfe Erklärung gegen die FDP. So wurde den Jusos der Wind aus den Segeln genommen. JENS KÖNIG

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