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Kantig. Echt. Erfolgreich.

Am 4. Juni wird das älteste freie Radio Deutschlands gefeiert. Der Expiratensender Radio Dreyeck-land, der aus der Anti-AKW-Bewegung hervorging, wird 25 und ist noch immer ein linkes Kleinod

aus Freiburg DOROTHEA MARCUS

Freiburg, äußerstes Ende der Republik: Mitten im Stadtzentrum, aber dennoch versteckt auf dem Gelände einer ehemaligen Gießerei liegt das selbst verwaltete Wohn- und Arbeitsprojekt Grether-Gelände – linksalternatives Herz einer Stadt, die unter den kleinen Großstädten als Ökomekka gilt und nun der Amtszeit ihres neuen grünen Oberbürgermeisters entgegenblickt. Hier hat das älteste freie Radio Deutschlands seinen Sitz und passt sich sehr gut ein in die übrig gebliebene Idylle des linken Bewusstseins.

Psychiatrieerfahrene oder Punks, Lesben oder Flüchtlinge, Knastinsassen oder Asylbewerber – alle können 19 Stunden am Tag auf Radio Dreyeckland (RDL) zu Wort kommen, gerne auch auf Persisch, Russisch oder Kurdisch. Einzige Vorgabe: die „Antis“ müssen das Programm beherrschen, für die das Radio unbeirrt eintritt: gegen Sexismus, Nationalismus, Diskriminierung, Kapitalismus, Rassismus.

Entstanden ist Radio Dreyeckland aus dem Anti-AKW-Kampf um Wyhl und Fessenheim. Mittlerweile umweben Legenden die 25-jährige Geschichte des Senders. Am 4. Juni 1977 um 19.45 ging er erstmals auf Sendung, von einem französischen Strommast bei Heiteren im Elsass aus. Eine Hand voll Deutsche und Franzosen hatten tragbare Antennen und einen kleinen Sender montiert. Den Atomstrom konnten sie damit nicht verhindern – und dennoch war man von der Aktionsform so begeistert, dass von nun an einmal pro Woche gesendet wurde, niemals länger als 15 Minuten von einem Ort aus, weil sonst die Post den Sender angepeilt hätte.

Die „Radiopiraten“, wie man sie nannte, machten „Gegenöffentlichkeit“ auf Deutsch, Französisch und Alemannisch, berichteten live von Fabrikbesetzungen im Elsass oder dem beginnenden Häuserkampf in Freiburg. Schon bald machte vor allem die deutsche Polizei Jagd auf sie – meist ohne Erfolg, denn während am Fuß des Berges, von dem aus gesendet wurde, noch die Ordnungshüter aus den Autos sprangen, wurde die Sendeanlage schon in Rucksäcken verstaut, und es ging ab über die Grenze.

Anfang der 80er-Jahre legalisierte Mitterrand die freien Radios in Frankreich, und der 1979 in Freiburg gegründete badische Redaktionszweig konnte regelmäßig vom Colmarer Exil aus senden – obwohl es großen Aufwand bedeutete, täglich nach Frankreich zu pendeln, heimlich Kassetten auszutauschen und sich toter Briefkästen zu bedienen. „Ein Heidenspaß“ war das Versteckspiel für Liedermacher und Autor Walter Moßmann, der von Anfang an dabei war und dem Untergrundradio manche Hymne schrieb.

Als sich 1985 in einer Unterschriftenaktion 12.000 Menschen in Freiburg für die Legalisierung aussprachen, entschloss man sich, eine Woche lang aus dem geheimen Studio 2 in Freiburg zu senden. Es kam der „Radiofrühling“, von dem die Gründungsväter und -mütter heute noch schwärmen: Die Polizei räumte im Großeinsatz das Gelände. „Wir müssen dafür kämpfen, dass die freie Stimme nicht untergeht, und das sind nicht unsere letzten Worte“, bebte „Miss Radiofrühling“ Ursi Kollert live vom Geschehen, während die Hundertschaften auf dem Gelände nach dem Sender suchten und parallel munter das Programm weiterlief. Der heimliche Sender wurde nie gefunden. Verhaftungen und Gerichtsverhandlungen verliefen im Sande.

Dann, nach jahrelangem Kampf des „Radikalenradios“ mit der Landesanstalt für Kommunikation, die ein kommerzielles Privatradio bevorzugte, wurde RDL 1988 endlich legalisiert.

Seitdem hat Radio Dreyeckland, das mittlerweile vor allem gegen „Kommerzialisierung und Zensur in den Medien“ eintreten möchte, Anspruch auf ein Neuntel von 0,1 Prozent der Fernsehgebühren in Baden-Württemberg. 19 bezahlte Honorarkräfte leben von RDL, über 200 Radiomacher arbeiten unentgeltlich für das Programm. Doch es werden langsam weniger – denn der Feind ist längst nicht mehr so konkret wie damals, die linke Bewegung ist zersplittert, und nur noch selten kommt es zu politisch bedeutsamen Stunden wie jener, als ein Mitarbeiter wegen seiner Kurdistan-Solidaritätssendung auf Radio Dreyeckland in der Türkei verhaftet wurde. Seitdem ist man sich sicher, dass das Radio von der Türkei genau beobachtet wird, und fürchtet um mehrere abgelehnte kurdische Asylbewerber, die hier regelmäßig Sendungen machen.

Grenzüberschreitend ist Radio Dreyeckland heute nicht mehr: Der Kontakt zu Colmar ist eingeschlafen, in Mulhouse hat vor kurzem ein privater Musiksender RDL verdrängt. Als politisch verstandenes „Bewegungsradio“ existiert es letztlich nur noch im Umkreis von 30 Kilometern um Freiburg und erreicht etwa 50.000 Menschen.

Was RDL immer noch zum Kleinod der Freiburger Medienlandschaft macht, sind letztlich nicht unbedingt die machmal etwas langatmigen politischen Sendungen, sondern vor allem die Musik: Szenekenner spielen Folk und Reggae, Punk und Techno, Sachen, die im Radio sonst selten zu hören sind, sie stellen liebevoll Rückblicke auf vergangene Musikepochen zusammen, berichten von abgelegenen Musikfestivals, neuesten Trends und versteckten Party-Locations.

Sich selbst verstecken muss der Sender ja schon länger nicht mehr.

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