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Denken ist kein T-Shirt-Label

Gibt es einen Ausweg aus der Referenzhölle der Postmoderne? Die Ausstellung „Protest! Respect!“ in St. Gallen zeigt Möglichkeiten, wie Kunst wieder an die politischen Verhältnisse andocken könnte

Im Angesicht schwitzender Arbeiter fühlt sich der Kunstbetrieb unwohl

von HIAS WRBA

Im Wahljahr ist landauf, landab einiges an Show geboten: Zahlenspielereien, Kantigkeiten, Fernsehduelle, Klagen und Gegenklagen und der doch seltsame Vorwurf, alles sei nur inszeniert. Macht vermittelt sich ja immer über eine ihr eigene Ästhetik, und von den Prunksälen in Versailles über den Nürnberger Lichtdom bis zum flotten Guidomobil zieht sich eine Spur politischer Selbstdarstellung durch die Jahrhunderte. Wie sehr im Einzelnen unter den verzahnten Oberflächen der Inszenierung noch nach Inhalten gefahndet wird, ist die andere Frage.

Aber das Spiel funktioniert auch entgegengesetzt. Bilder des Politischen spuken durch die Niederungen und Höhen der Kulturlandschaft, werden gesampelt und neu verortet. Wenn Prada auf terrorist-chic setzt und Che Guevaras Konterfei die Zimmerwände teilentpolitisierter Jugendlicher ziert, vermählt sich die Politik mit dem Pop. Ein Image wechselt den Besitzer. Kokett wird ein Spiel mit Hüllen und Ikonen betrieben, die nach Bedarf beliebig einsetzbar sind. Verstörenderweise geht damit manchmal eine Unterwerfung politischer Überzeugungen unter die Gesetzmäßigkeiten der Mode einher. Links zu sein war hoffnungslos dated im selbstreferenziellen Ironiegeplänkel der 90er. Das mag daran liegen, dass wir doch in der Postmoderne angekommen sind und Begrifflichkeiten, die Wahrnehmungswelten in allzu simple Schemata drängen, nicht mehr greifen. Denken bleibt aber trotzdem etwas anderes als T-Shirts kaufen.

Die Gruppenausstellung „Protest! Respect!“ in der Kunsthalle St. Gallen, kuratiert von Gianni Jetzer, hat es sich zum Ziel gesetzt, nach den vielfältigen Berührungspunkten von Politik und Ästhetik zu suchen. Wie kann die Kunst heute noch andocken an die Politik? In den 70er-Jahren war die Aufgabenverteilung klar. Malen im Dienst der Revolution, wenn es sein musste auch mal mit dem eigenen Blut. Zuerst kam die Ideologie und dann das Schaffen. Die damaligen Utopien sind heute verblasst und vergessen. In St. Gallen zeigt der Züricher Künstler Karla Rockmaster K. Porträtfotografien im Stil von RAF-Fahndungsbildern. Die in der digitalen Nachbearbeitung eingebauten Tränen, die den vermeintlichen Terroristen die Wangen hinunterlaufen, zeugen dabei von der Wut über die Ohnmacht des eigenen Abbilds. Im Labyrinth der Zeichen ist es schwer, verbindliche Bedeutungen freizulegen. Gefangen in der Referenzhölle. Die Postmoderne ist eben ein Teufelskreis, den niemand einfach für beendet erklären kann. Doch wenn sich Situationen verdichten, wenn Kunstwerk, Betrachter und Künstler kollidieren, dann kommt es immer wieder zu Momenten von ungewohnter Klarheit und Schärfe.

1937 deutete Otto Abetz, der Botschafter der Nationalsozialisten, in Paris auf das Gemälde „Guernica“ von Pablo Picasso und fragte den Meister: „Haben Sie das gemacht?“ Die Antwort des Spaniers war unmissverständlich: „Nein, das haben Sie gemacht.“ Eine ähnliche Frage nach der Zuschreibung stellt in St. Gallen der in Mexiko lebende Spanier Santiago Sierra. Im Rahmen einer Vernissage ließ er fünf Arbeiter, bezahlt nach dem gesetzlichen Mindestlohn, mit primitiven Werkzeugen binnen drei Stunden drei Kreideblöcke von 100 Zentimeter Kantenlänge zehn Meter weit bewegen. „1.000 cm of displacement for three chalk cubes of 100 cm per side“ erhebt diese nutzlose Schinderei in den Rang eines Kunstwerks, und das Sekt schlürfende Eröffnungspublikum fühlte sich im Angesicht der schwitzenden Männer sichtlich unwohl. Sierra thematisiert damit recht plakativ das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Aber er schafft noch mehr, er dekonstruiert die Ausstellungssituation. Er geht zu weit. Der Zuschauer ist in einer emotionalen und intellektuellen Pattsituation, die ihn überfordert. Was ist zu verurteilen? Das Kunstwerk oder die Umstände, die seine Entstehung ermöglicht haben? Oder gar ein Kunstbetrieb, der so etwas zulässt? Sierra macht sichtbar, was wir gern im Verborgenen wüssten. Nicht umsonst verlassen die Arbeitgeber von Reinigungskräften für gewöhnlich ihr Heim, wenn diese zur Tat schreiten. Die Dienstleistung als Anklageschrift. Die Performance leistet eine geschickte Vermengung von Kunst und Politik und die im Ausstellungsraum zurückgebliebenen verschobenen Kreidequader nebst Werkzeugen und leeren Bierflaschen zeugen rückwirkend von der allgegenwärtigen Anwesenheit des Politischen in Alltag und Kunst.

Manifest ist die Politik gerade im Verborgenen. Die drei Künstler des Kollektivs Shahrzad etwa spielen geschickt mit den Folgen der iranischen Zensur und zeigen Bilder, die zunächst wie amerikanischer Expressionismus anmuten, in Wahrheit aber von der Zensurbehörde krude übermalte Matisse-Zeichnungen sind. Im Gegenzug versehen Shahrzad in der gleichnamigen von ihnen herausgegebenen Zeitschrift Frauenbilder nachträglich mit Schleiern. Hier bahnt sich die Politik ihren Weg nicht über eine expressive Inszenierung, obwohl sich die Arbeit der sichtbaren Oberflächen annimmt und der äußerst politischen Frage, was sich dahinter verbirgt. Denn nichts ist selbstverständlich. Und manchmal, in ihren hellen Momenten, bringt die Kunst genau das auf den Punkt.

Bis 17. 6., Kunsthalle St. Gallen

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