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„Spoannentes“ im Norden von Bassum

Ein Porträt von Barbara Reinhart, der Gründerin und Leiterin der „Höge“. Mit Hilfe einer Erbschaft baute die Schweizerin vor neun Jahren den Künstlerinnenhof auf, jetzt gab‘s dafür einen Kulturpreis. Nach anfänglicher Skepsis freut sich darüber auch die ländliche Nachbarschaft

Cooler Kommentar zu schwierigen Finanzen: „Jetzt wirds abrr spoannent“

Viel haben wir schon über den Künstlerinnenhof „Die Höge“ berichtet, immer wieder fiel auch der Name der Gründerin und Leiterin Barbara Reinhart. Die jetzige Vergabe des Kulturpreises des Landkreises Diepholz an Barbara Reinhart ist Anlass, sie einmal „in Gänze“ vorzustellen. Denn von Anfang an ist die Höge nicht denkbar, sie wäre gar nicht vorhanden ohne die ganz persönlichen Visionen der Schweizerin.

In seiner Laudatio erzählte der Diepholzer Landrat Gerd Stötzell, dass Barbara Reinhart immer dann, wenn Sie ein wenig Angst kriegen muss wegen Absicherung der Finanzen, im noch immer unverkennbaren Schweizer Akzent sagt, das finde sie jetzt „abrr spoannent“.

Tatsächlich muss man, um so etwas zu leisten, es spannend finden, sich in unsicheren Zeiten zurechtzufinden, muss Wagemut und Vertrauen haben, die für die meisten unüberwindbaren Hürden zu überspringen. „Es ist nicht nur gefährlich, es macht Lust“.

Barbara Reinhart wurde 1955 in Winterthur geboren, hat in Zürich Grundschulpädagogik studiert und anschließend Germanistik und Theologie, “um meinen Ort in der Welt zu verstehen“. Das diffuse Berufsziel war damals: irgendetwas in der Erwachsenenbildung, denn zur Pädagogik hat sie eine “absolute Liebe“.

Die wichtigste Erkenntnis aus dieser Zeit ist die, dass die “Wahrheit so komplex“ ist, und dass „ich noch nach Ausdrücken in mir selbst suchte“. Deswegen bildete sie sich neben der Theorie weiter in Stimme, Tanz und Performance aus – grundsätzlich im eigenen künstlerischen Experiment. „Du hast eine Idee und du setzt sie um“: was damals noch ein rein künstlerisches Credo war, ist bis heute so geblieben. Denn sie lernte, Anträge zu stellen, Finanzierungen zu durchdenken und Projekte umfassend zu organisieren. „Das hat mir auch viel Spaß gemacht“.

Weiter führte sie dann die ehrliche Erkenntnis, dass ihr „künstlerisches Potential begrenzt war“. 1993 erbte sie viel Geld, mit dem sie die Vision von der Höge umzusetzen begann. Ein Hof auf dem Land sollte es sein, auf dem Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen arbeiten und sich austauschen könnten.

Er wurde nach langer Suche in Högenhausen bei Bassum gefunden. „Leider schreiben alle JournalistInnen ‚im Süden von Bremen‘, warum sagt denn niemand: ,im Norden von Bassum‘,klagt der Landrat, der von Anfang an das Projekt positiv begleitet und gestützt hat. Die Grundprinzipien der Aufbauarbeit haben Barbara Reinhart und die Mitarbeiterinnen der Höge nicht verändern müssen. „Das ist toll“, wie sie ganz häufig sagt, „dass wir nach sieben Jahren merken, dass sich die Grundidee Schritt für Schritt verwirklicht hat“.

Dazu gehört die Hinwendung zu den bäuerlichen Nachbarn, die alle gerne kommen und am Anfang nur die Angst hatten, „dass die Viehhaltung eingeschränkt werden könnte, wenn Barbara Reinhart immer weiter ausbaut“, wie einer erzählt. Dazu gehört, dass zur Konzeptschärfung von Anfang an mit Fachfrauen von außen zusammengearbeitet wurde, dazu gehört die Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Geldern, und dazu gehört vor allem ein sehr schnelles Weitergehen.

Zu den nächsten Zielen gehört die Mitgliedererweiterung von derzeit 100 auf 500 Personen, um die finanzielle Basis des Fördervereins zu stabilisieren. Gleichzeitig werden Stifterinnen und Stifter gesucht, die das Stiftungskapital so wachsen lassen, dass nicht nur drei Stipendiatinnen gleichzeitig auf der Höge wohnen können, sondern zehn.

Dafür wird der Neubau eines weiteren Gebäudes nötig, der allerdings erst begonnen werden kann, wenn 1 Millionen Euro an zusätzlichen Spenden eingeworben sind. „Wir müssen vor allem Konzepte entwickeln, mit denen die digitalen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Hof mehr genutzt werden können“. Der Preis wurde zum ersten Mal an eine Initiative vergeben und bildet ein klares kulturpolitisches Bekenntnis zur Höge, die in den Augen von immer mehr Menschen nicht mehr wegzudenken ist.

5.000 Euro ist der Preis, fließt er in die Höge oder gönnt Barbara Reinhart sich etwas? „Ich weiß noch nicht, aber ich würde nach all den Jahren so gerne mal drei Monate wegfahren“.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächste Veranstaltung auf der Höge ist die Internationale Performancenacht am 3. August 2002. Programm und weitere Informationen unter www.hoege.org

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