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Jenseits der Innenwelt-Umkreisung

Der Bremer Förderpreis für Bildende Kunst fördert Erfreuliches zu Tage: Es gibt eine neue, frische, verspielte Lust am Erzählen. Die Arbeiten der neun KünstlerInnen der Endrunde des Förderpreises sind ab Samstag in der Städtischen Galerie zu sehen

Pappa steht neben Spider-Man, eingeschweißt und mit ein paar kleinen Beigaben, Gegenstände, die er so braucht. Zum Beispiel HB in Schachteln. Ansonsten trägt er Krawatte über der Plauze und wird gehandelt als „Carsten“. Erhältlich für ungefähr 25 Euro, damit er auch preislich zur Kategorie der Action-Figuren gehört, wie Spider-Man. In der Spielwarenabteilung von Kaufhof hätten sie nicht so viel mit seinem Angebot anfangen können, erzählt Nils Klempow. Aber in Spezialläden für Plastik-Helden, da haben sie seine Figuren in Kommission genommen. Neben „Carsten“ im Angebot: Klempows Frau „Grit“, sein Bruder „Jens“, sein Freund „Tim“ und er selbst: „Nils“.

Nils Klempow hat seine Arbeit in der Städtischen Galerie mit einer Gebrauchsanweisung versehen, die klar stellt, dass seine Kunst nicht ins Museum gehört, sondern in den Spielzeugladen. Dort soll sie „in Bedeutungslosigkeit verweilen“, bis der Käufer vor dem Action-Figuren Regal merkt, dass mit dem Angebot etwas nicht stimmt: „In dem Moment wird der Käufer zum Betrachter.“ Falls dem Käufer die Eigenart der Figuren erst nach dem Aufreißen der Plastikbox auffällt, „dann fallen Kunst-Erkenntnis und Zerstörung des Kunstwerks zusammen“. So, wie Klempow das sagt, weiß man: Diese Art der Rezeption würde ihm am besten gefallen.

Der 30-jährige Nils Klempow ist einer von insgesamt neun jungen Bremer KünstlerInnen, die es beim Bremer Förderpreis für Bildende Kunst in die Endrunde geschafft haben. Aus 79 Bewerbungen hat eine Bremer Sachverständigen-Kommission neun KünstlerInnen ausgewählt und aus den Einzelpositionen eine äußerst kurzweilige Ausstellung konzipiert. Danach hat eine Kommission überregionaler Kunst-Funktionäre den Förderpreis in Höhe von 5.112 € vergeben. Außerdem gibt‘s eine Einzelausstellung für den Preisträger inklusive Katalog-Produktion.

Gewonnen hat Astrid Nippoldt (29) mit drei Videoarbeiten: „wy o ming“ ist ein 90 sekündiger Western, eine Verfolgungsjagd auf dem Pferd. Die verfremdeten, schemenhaften Bilder hat Nippoldt mit der Digitalkamera aus dem Zug heraus gefilmt, darüber hat sie eine hyperreale Tonspur gelegt, ausgeschnitten aus „Der mit dem Wolf tanzt“. „Schnick Schnack Schnuck“ heißt ein kleiner Monitor, auf dem eine Hand ohne Unterbrechung knobelt: Schere, Blatt, Stein, immer wieder, im immer gleichen Rhythmus, eine beständige Aufforderung. „Ich wollte die Kunst-Erwartungen der Leute irritieren mit einem kleinen Monitor, der anfängt zu nerven. Es ist eine Arbeit, die den Betrachter braucht.“

Im Gegensatz zum Selbstbespiegelungs-Video „Heroic Turn“: Nippoldt hat eine Kamera an einem Stativ festgeschnallt, ein zugeschüttetes Hafenbecken und tiefblauen Himmel als Kulisse gewählt und dann ausprobiert, wie entfesselt eine Kamera am Stativ sein kann. Tanz im Hafenbecken: Nippoldt hatte schwer zu tragen an der Konstruktion, außerdem war sie „fasziniert von dem Risiko, dass die Kamera herunterfällt“. Aus einer Stunde Material hat sie acht Minuten Film geschnitten, ein Kriterium für die Auswahl: „Bilder, auf denen man die Anstrengung sieht.“

Es wird gern erzählt in der Städtischen Galerie, nicht nur bei Nippoldt, auch bei Jürgen Witte: Ein gedeckter Tisch, eine Leiter, die gerade umfällt, das Foto eines Kindes, ein lebensgroßer Jeansträger, der gerade Gymnastik macht oder auch dabei ist, aus dem Fenster zu springen – man weiß es nicht so recht. Dazu vibriert mit großem Lärm ein Löffel auf einem der Suppenteller. Die Szene ist so rätselhaft wie faszinierend, die Frage liegt in der Luft: Was ist passiert?

Ein großes Thema auch: Körper. Marina Schulzes Rückenansichten mit eigenartig fragiler, durchsichtiger Haut sind ein Gegenentwurf zu dem, was Werbegrafik und Programmzeitschriften über den Zustand von Haut verbreiten. Und Stefanie Hoppe hat gleich gegenüber einen geöffneten Mund abgefilmt, aus dem es gluckst und wabert: Ein ironischer Kommentar auf alles, was von Innen kommt. Künstlerischen Innenwelt-Umkreisung: bei dieser Ausstellung nicht. Klaus Irler

Die Ausstellung wird am Samstag, den 8. Juni um 19 Uhr mit der Preisverleihung durch Kultursenator Böse eröffnet. Zu sehen ist sie bis zum 14. Juli.

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