: Eine Nacht nicht zum Verweilen
Von Flugzeug-Geschirr und vertonten Ausstellungen, von Bastkleidern und surrealen Masken: Ein Streifzug durch die „Lange Nacht der Museen“
Die Vorbereitungen für die Lange Nacht sind unbestreitbar simpel: Heften Sie sich den kleinen blauen Button ans Revers, nehmen Sie Ihren Regenschirm und sperren Sie die Augen auf. Ganz weit auf. Jetzt gibt es kein Zurück mehr – die Museen warten. Stürzen Sie sich in die Menschenmengen, nehmen Sie teil an Bremens schönster Völkerwanderung. Fangen Sie einfach irgendwo an und lassen sich treiben.
Vielleicht zieht es Sie zunächst auf die Kulturmeile, und vielleicht beginnen Sie den Abend im Gerhard-Marcks-Haus, wo Denis Fischer vom Jungen Theater über die Bühne stolziert und wunderbar cool-androgyn-süßliche Songs von Mark Scheibe ins Mikrofon schluchzt, die eigens für die aktuelle Pop-Art-Ausstellung geschrieben wurden. Vielleicht sind Sie aber auch längst gegenüber im Wilhelm-Wagenfeld-Haus gestrandet, haben bei der Design-Börse in skurrilen, bekannten oder gar verlockenden Formen geschwelgt, sich vielleicht ein Flugzeug-Geschirr-Set gegönnt und dabei sehnsuchtsvoll auf gläserne Lampenschirme geschielt. Mit angeknackstem Geldbeutel gehen Sie dann wahrscheinlich zügig weiter in die Kunsthalle, denn die Lange Nacht ist nicht zum Verweilen geschaffen. An stilvollen Stehtischchen schlürfen Sie mit ihrer Begleitung ein Glas Weißwein, wechseln einige kultivierte Sätze und unternehmen noch einen Abstecher durch die Nebenräume: „Wie Kunst entsteht?“ ist die perfekte Ausstellung für diese Nacht. Flanieren Sie an über hundert Zeichnungen verschiedenster Künstler vorbei, stöbern Sie, machen Sie hier eine kleine Entdeckung, finden Sie dort ein überraschendes Detail. Und dann rasch weiter, die Nacht ist kurz, die Möglichkeiten, sie zu füllen, überwältigend. Kümmern Sie sich am besten nicht um die Programmübersicht in Ihrer Hand – wenn Sie nicht in Hektik verfallen möchten. Versuchen Sie gar nicht erst, eine Auswahl zu treffen unter den unzähligen Angeboten _ es ist kaum möglich. Am besten folgen Sie einfach den Menschenströmen, die es in Richtung Innenstadt treibt, lächeln unterwegs ersten alt- und neubekannten Waren-Sie-nicht-vorhin-auch-bei-Mark- Scheibe-Gesichtern zu, freuen sich, dass ihr Regenschirm noch geschlossen ist und biegen schließlich in die Böttcherstraße ein. Im Ludwig-Roselius-Haus haben sich geheimnisvolle Gestalten eingenistet, hängen über Treppengeländern, schauen um die Ecken, werfen Kusshände. Ihre surreal-großflächigen weißen Masken schaffen aufregende Kontraste zu der antiken Inneneinrichtung aus dem zwölften bis neunzehnten Jahrhundert. Und vielleicht geleitet Sie einer von ihnen ja sogar hinüber ins Paula-Modersohn-Becker-Museum, wo Sie sich nun die Zeit nehmen sollten, auf der Terrasse bei einem Stück Kuchen die vielen Eindrücke, Anregungen und Gedanken dieses Abends ein wenig sacken zu lassen. Beenden sollten Sie selbigen allerdings noch lange nicht, auch wenn die müden Füße es Ihnen nahelegen.Setzen Sie sich lieber in die Kultourbahn, die Sie zum Überseemuseum bringen wird, lehnen Sie sich zurück und genießen Sie auf dem Weg DDR-Chansons und Klaviermusik, vorgetragen von Gabriele Möller-Lukasz und Marc Lüdicke. Oder lassen Sie sich von Beate Manske, der Leiterin der Wagenfeld-Stiftung, neugierig machen auf die große Löffel-Ausstellung, die Sie vorhin schmählich vernachlässigt haben. Aber geben Sie in jedem Fall acht, dass Sie ihre Haltestelle nicht verpassen und womöglich zu spät zur bunten Südsee-Modenschau kommen, die Sie im Lichthof des Übersee-Museums verzaubern wird. Feurige Rhythmen und Meeresrauschen, dazu fantasievolle Bastkleider-Experimente von witzig bis sexy, von schrill bis elegant, entworfen von Schülern der Fachoberschule für Gestaltung. Karibik-Feeling pur. Und hier überlassen wir Sie nun Ihrem Schicksal. Nehmen Sie noch einen Cocktail an der Bar, schieben Sie sich mühsam durch die überfüllten Wallanlagen oder fahren Sie zu einer mitternächtlichen Führung ins Neue Museum Weserburg: An den Möglichkeiten wird es nicht scheitern. Bodil Elstner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen