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AKW Ignalina geht 2009 vom Netz

Litauen beugt sich dem Willen der EU und macht einesder gefährlichsten Atomkraftwerke der Welt dicht

STOCKHOLM taz ■ Das Atomkraftwerk Ignalina soll bis zum Jahre 2009 stillgelegt werden. Die Abschaltung des ersten Reaktors bis spätestens Ende des Jahres 2005 hatte das litauische Parlament bereits im Frühjahr 2000 beschlossen. Ende vergangener Woche teilte Litauens Ministerpräsident Algirdas Brazauskas nun mit, dass der zweite Reaktor vier Jahre später folgen soll. Damit scheint eine seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen formulierte Bedingung Brüssels von Litauen eingelöst worden zu sein: ein Enddatum für den Betrieb des umstrittenen AKWs.

In Ignalina stehen die beiden größten Atomreaktoren der Welt, zwei graphitmoderierte RBMK-Reaktoren des Tschernobyltyps mit einer Leistung von jeweils 1.500 MW. Das AKW verfügt über keinen Reaktordruckbehälter. Bei einem Unfall könnte Radioaktivität ungehindert in die Atmosphäre freigesetzt werden. Deshalb und wegen schwerwiegender Schwächen bei der Brandsicherheit und den Reserveaggregaten wurde Ignalina auf der Liste des US-Energieministeriums jahrelang zu den gefährlichsten Atomkraftwerken der Welt gerechnet. Die Reaktoren waren zu Sowjetzeiten – der erste Reaktor ging 1983 ans Netz – dazu gebaut worden, einen Großteil der westlichen Sowjetunion mit Strom zu versorgen. Nach der Unabhängigkeit Litauens investierten zunächst die nordischen Nachbarländer und die EU mehrere hundert Millionen Mark, um den Sicherheitsstandard von Ignalina zu verbessern. Mittlerweile jedoch wurde die Stilllegung des AKWs zu einer Voraussetzung für eine Aufnahme des Landes in die EU erklärt.

Doch Ignalina ist für die gesamte Wirtschaft Litauens von zentraler Bedeutung. Zwischen 75 und 80 Prozent der Elektrizitätsversorgung des Landes werden von Ignalina gedeckt. Litauen ist damit weltweit das Land mit der größten Abhängigkeit vom Atomstrom. Jährlich fließen zudem Einnahmen aus dem Export der Atomenergie in zweistelliger Millionenhöhe in die Staatskasse. In der breiten Bevölkerung gilt das AKW nicht als Gefahr, sondern als Symbol der ökonomischen Stärke des Landes. Vor allem aber als Lieferant billiger – rund 1,5 Cent pro Kilowattstunde – Energie. Die Stilllegung ist ausgesprochen unpopulär und könnte die sowieso nicht allzu euphorische EU-Stimmung im Land weiter dämpfen.

Alles andere als sicher scheint daher auch, ob die Regierung eine Mehrheit für ihren Beschluss im Parlament finden wird. Letztendlich dürfte entscheidend sein, wer die Kosten für die Stilllegung trägt. „Beteiligen“ will sich die EU daran und hat jährliche Beiträge in Höhe von 70 Millionen Euro für die Dauer von drei Jahren und eine einmalige Zahlung von 40 Millionen Euro angekündigt. Viel zu wenig meint man dazu in Wilnius, wo man von Kosten von mindestens 2,4 Milliarden Euro ausgeht. REINHARD WOLFF

meinung SEITE 12

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