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fernöstlicher diwanFußballgucken mit Mädchen

Freude. Losgelöstheit. Emotion

Ich habe es genau gesehen. Der Vater meiner Kinder versucht, seinen Nachwuchs vor einer ausgeprägten und unheilbaren Fußball-Gleichgültigkeit wie der meinen zu bewahren: Am Wochenende hat er sich mit der Neunjährigen vor den Fernseher geklemmt und mit ihr Fußballweltmeisterschaft geschaut. Ich hätte mich dazusetzen müssen, um wenigstens rudimentäres Wissen für diese Kolumne zu speichern. Aber das Wetter war so gut, und die Tomaten wollten gewässert werden. Es ist peinlich, ich weiß.

ANJA MAIERS WM

Mein Team: Unsere (resigniert)

Mein Spieler: David Beckham (bekannt aus der Bravo. Kann der was?)

Mein Weltmeister: David Beckh… pardon: unsere

Wir tun so viel dafür, dass unsere Töchter ein modernes Geschlechterverhältnis erfahren: Bei uns kann nur der Vater kochen – die Mutter steht derweil im Garten und sticht den Kompost um. Der Vater arbeitet freiberuflich, um mehr Zeit für die Kinder zu haben – die Mutter verwirklicht sich in einer Vollzeitstelle. Der Vater verfügt über profunde Kenntnisse sämtlicher laufender Kinderfilme – die Mutter geht nach der Arbeit erst mal mit Freunden in Filme von Format.

Mit Fußball hat er die Kinder eigentlich immer in Ruhe gelassen – bislang dachte ich, es herrsche Konsens darüber, männlichen Klischeesportarten die ihnen gebührende Ignoranz zukommen zu lassen. Wohl ein Missverständnis.

Fußball schleicht sich – selten – in meine häusliche Wahrnehmung. Eigentlich nur, wenn der Videorekorder auf Aufnahme klickt. Denn Fußball schaut er nur nachts, wenn wir anderen alle schon schlafen. Jetzt also dieser Vertrauensbruch: Fußballgucken mit Mädchen!

Ich stehe im Flur und höre, wie der Vater meiner Kinder versucht, der Neunjährigen die Fußballweltmeisterschaft – unter Vortäuschung eines elterlichen Gesamtkonzepts – schmackhaft zu machen: „Schau mal, der da heißt Winnie Schäfer, das ist der Trainer von Kamerun. Von dem sagt deine Mutter immer, er sähe aus wie eine schlecht zurechtgemachte Rentnerin.“ Das stimmt sogar. Aber dann: „Jancker, das ist der scharfe Typ da hinten. Hat neulich jede Menge Tore geschossen und sich anschließend das Trikot ausgezogen. Fand Mama ganz toll.“ Eine Lüge! Gerade der Oberkörper von Carsten Jancker, so schwitzig und muskelfaserig – irgendwie unangenehm teutonisch –, hat mich die auf meinem Schreibtisch liegende Bild-Zeitung angewidert umdrehen lassen. Wer will denn so was?

Was ich will, ist doch ganz einfach: Freude. Losgelöstheit. Emotion. Fußballer, die sich in inniger Umarmung auf dem Rasen kugeln, Tänze um Eckfahnen, Männertränen nach der unverdienten Niederlage. Stattdessen bekomme ich, wenn ich mich entschließe, für diese Kolumne Fußball-WM zu schauen, nur Weitwinkelbilder auf den grünen Rasen zu sehen, Männer, die hin und her laufen, unterbrochen von regelmäßigen Schwenks auf die Trainerbank.

Ich versuche Euphorie zu empfinden, wenigstens einen Anflug von Interessiertheit zu entwickeln, indem ich – sobald der Ball in die Nähe eines Tores kommt – hörbar die Luft durch die Zähne ziehe oder etwas wie „Das wird knapp“ nuschele.

Der Vater meiner Kinder bedeutet mir durch entspanntes Hingefläztsein, dass es sich hier keineswegs um eine Fußballszene von irgendwelchem Interesse handelt. Dann sagt er plötzlich ruhig: „Abseits.“ Alle Spieler bleiben stehen, irgendjemand spielt dann doch weiter. Was ist geschehen? Erklärungsversuche erzeugen nichts als ein undeutliches Rauschen in meinem Kopf.

Für Menschen wie mich ist die Spielzusammenfassung erfunden worden. Die fünf Minuten nach der Tagesschau stellen eine erfassbare Größe für mein völlig vernageltes Hirn dar. Oder der Abspann von Fußballsendungen. Denn da wird gesendet, was ich mir wünsche: Freude. Losgelöstheit. Emotion. Weinende Fans, Spielerfrauen auf der Tribüne mit Spielerkindern auf den Knien, Männer, die selbstvergessen ihre verschwitzten Trikots aneinander reiben. Ist doch alles da, muss nur gesendet werden.

Unseren Kindern werde ich diese Abgründe menschlicher Emotionalität dennoch nicht zumuten. Ich werd mal ein bisschen am Sicherungskasten rumfriemeln gehen. ANJA MAIER

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