DIE ROT-GRÜNE AUSSENPOLITIK ENTTABUISIERT DAS MILITÄRISCHE
: Bloß kein Streit um die Soldaten

Die Militärpolitik ist wichtiger geworden als die Diplomatie. Das ist die unvermeidliche Schlussfolgerung aus der außenpolitischen Bilanz, die Bundeskanzler und Außenminister gestern gezogen haben. Gewiss, sie sprachen auch von der Entschuldungsinitiative für Entwicklungsländer, von der Notwendigkeit politischer Lösungen für regionale Krisen wie die im Nahen Osten und in Kaschmir sowie von einem Sicherheitsbegriff, der über das Militärische hinausgehe.

Aber all diese Bemerkungen rahmten lediglich das eine Kernthema ein, um das es gestern – und in den letzten vier Jahren – vor allem ging: um die neue Bedeutung militärischer Einsätze nämlich und um die Hoffnung, politische Lösungen ließen sich mit militärischen Mitteln erzwingen. Kosovo, Mazedonien, Afghanistan und auch mögliche neue Einsatzorte lassen sich miteinander nicht unmittelbar vergleichen. Außer in einer Hinsicht: Sie befördern das, was die rot-grüne Koalition unter der – aus ihrer Sicht wünschenswerten – Enttabuisierung des Militärischen versteht.

Bedenklich ist nicht die Ansicht, im Einzelfall sei militärische Unterstützung der Diplomatie erforderlich. Das mag so sein, beispielsweise bei friedenssichernden Einsätzen wie in Mazedonien. Alarmierend aber ist es, wenn der Einsatz militärischer Mittel für einen Ersatz von Politik und Diplomatie gehalten wird. Diese Gefahr wächst. Ungeachtet aller gegenteiligen Beteuerungen.

Es war aufschlussreich, welche Stichworte von Gerhard Schröder und Joschka Fischer gestern nicht genannt wurden: internationale Organisationen wie Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsorganisation beispielweise. Oder der Internationale Strafgerichtshof, das Kioto-Protokoll, die Biowaffenkonvention und die grundsätzliche Notwendigkeit einer stärkeren Verrechtlichung internationaler Beziehungen. Bloß nicht Stellung beziehen, nur keine schlafenden Hunde wecken.

Kanzler und Außenminister haben sich darum bemüht, ein gemeinsames Lager zu bauen, jedes konfliktträchtige Thema zu vermeiden und ihren Amtsbonus für sich arbeiten zu lassen. Für den Wahlkampf mag das reichen. Für eine gute Außenpolitik reicht es nicht. BETTINA GAUS