: „Stockbeschissen“
Thoralf, Rocker und Sozialarbeiter, wählt CSU. Aber das soll niemand wissen
Über Politik redet Thoralf nicht gerne. Immer wird er missverstanden. Seine Freunde wählen alle links. Seine Kollegen auch. Die sollen nicht wissen, dass Thoralf die CSU wählt. Sie würden ihn sofort als „rechten Sack“ abstempeln. Total undifferenziert. „Wenn es um Politik geht, werden die Leute, die die ‚toleranten Parteien‘ wählen, plötzlich ganz schön intolerant.“ Deswegen will er auch nicht sagen, wie er wirklich heißt oder seine Band oder der Vorort, in dem das Reihenhaus seiner Eltern steht, wo Thoralf, so sollen wir ihn also nennen, seit 27 Jahren lebt; Thoralf, der Rocker, Sozialpädagoge und CSU-Wähler.
Thoralf sagt über Stoiber: „Ich werde ihm mein Kreuz geben.“ Und so meint er es auch: Für ihn ist die Stimmabgabe ein archaischer Akt. Thoralf liebt das Ursprüngliche, das Ehrliche. Er sagt: „Ich bin mir treu geblieben.“ Thoralf trägt heute ein schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, schwarze Lederjacke, eine Tolle. Wie jeden Tag. Auf den Fingern beider Hände stecken Totenkopfringe. Die Gürtelschnalle ist ein Pentagramm. Thoralf würde niemals auf eine CSU-Veranstaltung gehen.
Thoralfs Outfit wird ständig missverstanden. Einmal ist er mit seinen Freunden abends in ein Bierlokal am Ort gekommen, alles Rocker wie er, ein wilder Anblick allesamt. „Schaugts hi! Nazis!“, raunten da die Bierdimpfln, die Stammtischbrüder, die am Ecktisch saßen, so wie sie jeden Abend da sitzen. „Grias eich!“, riefen die Stammtischbrüder fröhlich, als Thoralf und seine Jungs an ihrem Tisch vorbeikamen, und dann prosteten sie ihnen freundlich zu. Nazis, das waren doch welche von deren Verein. Thoralf lacht, als er diese Anekdote erzählt.
„Die CSU ist für mich die Partei, die sich um die Arbeitsplätze kümmert“, sagt Thoralf. Das sei es, was er von einer Partei erwarte. Von Rot-Grün spricht er nur als „die anderen.“ Er hat den anderen ihre Chance gegeben: „Ich habe sie mir angeschaut. Es hätte ja sein können, dass ich falsch liege.“ Aber die anderen haben ihm nichts zu bieten: „Die setzen sich für einen Personenkreis ein, der mich nicht interessiert.“ Kindergeld, Homo-Ehe, Doppelpass: „Das betrifft mich alles nicht. Meine Ansicht: Jetzt schauen wir erst mal, dass die Wirtschaft läuft, und dann ist immer noch genügend Zeit für die Schwulen.“
Eigentlich müsste Thoralf die Grünen wählen oder wenigstens die SPD. Wie alle seine Kollegen. Er arbeitet als Sozialpädagoge in einer Hauptschule. Die darf man sich in weiten Teilen vorstellen wie ein Jugendzentrum mit Billard und Tischtennis und einigen staatlich finanzierten Ghettoblastern. Manchmal organisiert Thoralf ein kleines Fußballturnier. Die Arbeit mit den Kindern macht ihm viel Freude.
Dass eine konservative Regierung sich mehr für seine Branche, die sozialen Berufe, stark machen würde, das glaubt Thoralf nicht: „Für meinen Arbeitsplatz setzt sich überhaupt niemand ein.“ Seine Rechnung geht so: „Wenn die Wirtschaft gut läuft, dann fällt auch mehr für meinen Bereich ab.“
Ein Grund für seine konservative Einstellung liegt gerade auch in Thoralfs Arbeit. Dreißig Prozent der Kinder an seiner Hauptschule, sagt Thoralf, sind ausländischer Herkunft: „Die sind lauter, frecher, unverschämter, unvernünftiger, aggressiver, haben ein größeres Gewaltpotenzial.“ Es sind ganz einfache Regeln, die er seinen Schützlingen beibringen muss: „Müll aufräumen und nicht irgendwohin werfen. Sich nicht schlagen. Aufhören, wenn ich sage: aufhören.“ Wenn sich Thoralfs Freunde über Ausländerpolitik unterhalten, dann hält er sich zurück. Sonst müsste er sich zu sehr aufregen.
Die Zuwanderung, da ist sich Thoralf sicher, muss gedrosselt werden. „Ich sehe es ja jeden Tag. Es ist doch auch stockbeschissen für die Kinder, wenn die ohne eigene kulturelle Identität aufwachsen.“ Die Jugendlichen hätten keine Perspektive in Deutschland. Oder nur die, „beim Cousin im Olivengeschäft zu arbeiten“. Gleichzeitig seien die Ansprüche grotesk hoch: „Die sagen: Wenn ich hier von der Schule gehe, dann komme ich das nächste Mal mit einem Mercedes SLK vorgefahren und habe eine fette Goldkette.“ Traumbilder, die sie in Musikvideos gesehen haben. Thoralf hat auch eine Theorie dazu: „Wer so wenig hat, der braucht materiell sehr viel, um Glück zu empfinden.“
Thoralf mag die Kinder. „Es macht Spaß, zu sehen, wenn mal einer Vernunft zeigt. Wenn sich mal einer korrekt verhält. Wenn sie Spaß haben beim Fußball. Wenn sie mal fragen: Darf ich das haben? Und sie geben es in einem intakten Zustand zurück und lassen es nicht irgendwo herumliegen.“ Thoralf schaut nachdenklich. „Krass, dass das schon ein Erfolg ist.“
Thoralf mag seine Arbeit. Deprimierend, sagt er, ist es nur, wenn er sich nach Feierabend hinsetzt und sich fragt: „Wie läuft das hier?“ Und sich die Antwort geben muss: „Es läuft schlecht.“ Aber das, sagt Thoralf, „ist ein Scheißthema. Nicht politisch korrekt.“ Und nach einer Pause sagt er noch: „Ich bin Realist. Anders wäre es mir ja auch lieber.“
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