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Liberale fordern neue Straßen trotz leerer Kassen

Die FDP steigt bei rundem Tisch zur Verkehrsplanung aus und holt sich Hilfe bei ADAC und IHK. Grüne sehen Rückfall in Verkehrspolitik der 50er-Jahre

„Neue Straßen erzeugen immer neuen Auto-Verkehr.“

Die FDP-Fraktion setzt trotz leerer Kassen weiter auf Straßenneubau. „Indem man den Verkehr beschneidet, beschneidet man die Wirtschaft“, befindet ihr Frontmann in Verkehrssachen, Klaus-Peter von Lüdecke, und nennt den zuständigen Senator Peter Stieder (SPD) einen „Autofeind“. Vor allem kritisiert von Lüdecke, dass Pläne für die Nordtangente und für die Verlängerung der B 101 wegfallen sollen. Strieder wies die Kritik gestern energisch zurück und hielt den Liberalen eine oberflächliche Betrachungsweise vor. Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer bezeichnete die FDP-Forderungen als Rückfall in die autoorientierte Politik der 50er-Jahre.

Konkret fordern die Liberalen den vollständigen Ausbau des Autobahnstadtrings und des inneren Rings sowie eine neue Straße zwischen Potsdamer Platz und der General-Pape-Straße in Schöneberg. Andernfalls befürchtet die Fraktion Chaos am Landwehrkanal, wenn 2006 der Tiergartentunnel eröffnet wird.

Als Blockadeinstrument betrachten die Liberalen den runden Tisch zum Stadtentwicklungsplan Verkehr im Hause Strieder. Diese Gremium wollen sie künftig boykottieren. Es entziehe das Thema dem parlamentarischen Rahmen, sei „willkürlich zusammengesetzt“, sagte von Lüdecke.

Der Grünen-Abgeordnete Michael Cramer wies diese Sichtweise gestern zurück – natürlich habe das Parlament die letzte Entscheidung. Der runde Tisch hole Sachverstand heran. Parlamentarische Anhörungen oder Kommissionen, wie sie die FDP-Fraktion statt eines runden Tisches fordert, seien dadurch nicht ausgeschlossen. Für Verkehrssenator Peter Strieder ist der runde Tisch ein wichtiges projektbegleitendes Beratungsgremium.

Als Argumentationshelfer luden sich die Liberalen gestern die üblichen Verdächtigen ein: ADAC Berlin-Brandenburg, die Industrie- und Handelskammer (IHK), die Fuhrgewerbeinnung und einen DaimlerChrysler-Manager. Ökolastigkeit sah ADAC-Vorstand Eberhard Waldaus beim runden Tisch – „bei uns im Haus haben wir ihn schon grünen Tisch genannt“. Falsch soll die von Grünen und Umweltverbänden vertretene Aussage sein, dass neue Straßen neuen Verkehr erzeugten. Nein, nein – sie würden stattdessen Verkehr binden, der sonst Nebenstraßen belaste, so Waldaus Auffassung. Auch die IHK unterstützt die FDP-Forderungen beim Straßenbau. „Wir dürfen die Innenstadt nicht zu Tode schützen“, sagte ihr Verkehrsplaner Hans-Michael Drutschmann.

Die Naturschützer des BUND beurteilen die Lage gänzlich anders. Sie begrüßen das Ende der Nordtangente zwischen Reinickendorf und Pankow sowie der B-101-Verlängerung in Lankwitz. Beide Planungen sollen dem rot-roten Koalitionspapier zufolge aus dem Flächennutzungsplan, dem Bauleitplan, verschwinden. Er blockiert ihre Trassen bislang für jegliche andere Nutzung. „Für beide Projekte gilt: Neue Straßen erzeugen immer auch neuen Autoverkehr“, meint BUND-Verkehrsreferent Martin Schlegel. Aus ökologischen wie aus finanziellen Gründen sei auf den Bau zu verzichten.

Vorrang müsse die notwendige Sanierung des bestehenden Straßennetzes haben. „Parteien oder Gruppierungen, die dies unterbinden wollen, ignorieren nicht nur nur die leeren Kassen, sondern schicken die Verkehrsteilnehmer in Schlaglochpisten“, sagt Schlegel. Man sei sich der Haushaltsprobleme bewusst, entgegnet Klaus-Peter von Lüdecke. Die Trassen für diese beiden Straßen müssten aber für Zeiten frei gehalten werden, in denen wieder Geld in der Kasse ist, sagt der FDP-Mann.

Weiterhin ruft die FDP-Fraktion nach freier Pkw-Fahrt durchs Brandenburger Tor in beiden Richtungen. In einem Fall aber wollen auch die Liberalen Autos auf einen Umweg schicken: Zwischen dem von ihnen gewünschten Stadtschloss und der Museumsinsel soll Unter den Linden zur Fußgängerzone werden, soll der Verkehr ums Karrée fließen.

STEFAN ALBERTI

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