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Ein Angriff auf die eigene Geschichte

Ein ägyptisches Dorf am Nil namens Scharona steht plötzlich im Zentrum des Interesses. Wegen der Namensgleichheit mit Israels Premier fordern ägyptische Journalisten eine Umbenennung. Doch die Dorfbewohner sind strikt dagegen

aus Kairo KARIM EL-GAWHARY

Was zählt mehr, kurzlebige israelische Amtsperioden oder die altehrwürdige, in Jahrtausenden gerechnete ägyptische Geschichte? Diese Frage beschäftigt derzeit die ägyptischen Medien. Im Zentrum der Debatte steht das 50.000-Seelen-Nildorf Scharona und dessen vermeintliche Namensassoziation mit Israels Premier Ariel Scharon.

Scharona hätte wohl ewig wie hunderte andere Dörfer an den Nilufern in seiner friedlichen Bedeutungslosigkeit weitergelebt. Der Wendepunkt kam, als Ariel Scharon vor zwei Monaten den Einmarsch seiner Armee in die palästinensischen Städte des Westjordanlandes befahl. Einige findige Ägypter aus Kairo forschten nach neuen Möglichkeiten des Protestes und stießen auf den suspekten Namen des südägyptischen Dorfes Scharona.

Prompt forderte die prominente Kolumnistin Naamat Ahmad Fuad in der Tageszeitung Al-Ahram eine Namensänderung. Es schmerze sie, dass ein ägyptischer Ort den gleichen Namen wie Israels Premier trage. Man könnte doch einen anderen, unverfänglichen Namen finden, der mit dem Fluss zu tun habe.

Das fanden Scharonas Einwohner gar nicht komisch. Was würde passieren, wenn Israel einen Ministerpräsidenten namens Ramsis wählen würde, fragt einer, wohl wissend, dass mit der gleichen Logik das halbe Land umgetauft werden müsste. Der Name des Dorfes, sagen die Bewohner, sei tief in der pharaonischen Geschichte verwurzelt und gehe 4.000 Jahre zurück. Im Süden des Dorfes stehe ein Tempel zu Ehren eines großen pharaonischen Feldherrn Namens Scharon. Der habe das Land im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung vor den Invasionen der Hyksos gerettet, heißt es in der ägyptischen Presse.

Von einem solchen Feldherrn hat Professor Wolfgang Schenkel, Ägyptologe der Universität Tübingen, noch nichts gehört. Seit bald 20 Jahren gräbt ein Team seiner Fakultät in den pharaonischen Grabstätten in unmittelbarer Nachbarschaft Scharonas. Doch Schenkel hält es für möglich, dass das Dorf Scharona seit pharaonischen Zeiten existiert. Auch wenn er den Namen Scharona nicht etymologisch zurückbestimmen kann, ist es für ihn wahrscheinlich, dass der Name aus altägyptischer Zeit stammt. Auch dass der Kern des Dorfes mehrere Meter erhöht liegt, spräche dafür, dass dort einige Schichten alter Siedlungen liegen. Sicher ist, dass das Team auf dem benachbarten Friedhof mehrere Gräber aus dem vor 400 Jahren blühenden alten Reich dokumentiert hat.

Nun laufen Rückzugsgefechte. Der Gouverneur der Provinz Minja hat festgestellt, dass die Initiative zur Namensänderung nur von einigen ägyptischen Journalisten ausgegangen war. Am Ende, so Hassan Hameida, sei die ganze Sache der Entscheidung des Dorfrates vorbehalten.

In Scharona steht fest: Mit so viel Geschichte im Rücken wird man auch angesichts eines Ariel Scharon nicht klein beigeben. „Sollen wir den Namen unserer Vorfahren und die Geschichte unseres Landes ändern, nur weil der Schlächter Scharon ohne Geschichte den gleichen Namen trägt“, wird der Dorfbewohner Muhammad Osman As-Said in der Wochenzeitung Rose El-Yussuf zitiert. Alles ist eine Frage der Dimension. Scharona, so ein Bewohner, werde noch existieren, wenn sich kaum jemand an die kleine Episode namens Ariel Scharon werde erinnern können.

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