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Das Straßenbild

Heute: Die sprechende Kippe – eine Shortstory.

Neulich, irgendwo in der Stadt. Ich bin gerade zur Tür raus. In meinem Kopf graue Gedanken. Über mir grauer Himmel, unter mit graue Straße. Hier und da eine platt getretene Zigarette. Ich hebe langsam den Kopf und sehe meinen Blick sozusagen Plakat geworden: Da hängt und liegt sie zugleich vor mir, eine einsame, trostlose Kippe. Ich hatte das neue Straßenreinigungsplakat vorher schon irgendwo gesehen, in einer zweiten Stufe haben sie dann kürzlich wachsmalkreidig um jeden Müll einen orange BSR-Eimer gemalt. Erhobener Zeigefinger. Immer alles in die orange Tonne werfen. Du, du.

Heute Morgen aber nehme ich nur einen nackten Zigarettenrest im grellen Blitzlicht wahr. Im Hintergrund Löcher im Boden. Ich schaue genauer hin. Muss mich konzentrieren. Leuchten hinten aus den Löchern nicht zwei helle Punkte? Sieht es nicht aus, als würden die Augen einer vom Blitz gebannten Kanalratte unversehens in meine starren? Eine erste Ahnung überkommt mich: Werbung ist zuweilen der Spiegel der realen Stadtneurose. Stadtmenschen sind umgeben von Zigarettenstummeln und eingebildeten Kanalratten. „So sieht es aus, dein Leben“, sagt das Bild. „Es ist kurz wie eine Zigarettenlänge. Der Tod wartet überall, auch in Straßenlöchern. Und auch dein Leben ist endlich.“ Mir wird schwindlig. Ich suche Halt in dem Plakat daneben. Ein irgendwie Carnaby-streetiges Wesen raucht Drehtabak. Ihre Augen scheinen mascaraverschmiert. Ein Auge ist ein helles Quadrat. Ihr Mund ist blutleer. Das Carnabywesen sieht aus wie eine Wasserleiche. Jetzt wird mir fast schlecht. Ich hätte es wissen müssen: Dieser Tag ist nichts für mich. Ich mache kehrt und gehe nach Hause zurück. Und nehme mir fest vor, nicht mehr auf nüchternen Magen zu kiffen.

FABIAN KRESS

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