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Die Wohnung ertanzen

Im Rahmen der artgenda veranstaltet die NoRoom Gallery Hausbesuche: GastgeberInnen treffen KünstlerInnen in den eigenen vier Wänden. Was dann passiert, hängt von allen Beteiligten ab

von KATRIN JÄGER

Eine Sommerparty. Eingeladen haben die Malerin Miwa Ogasawara und ihr Mann Oliver Schilling. Die rund zwanzig Gäste tummeln sich im Wohnzimmer, genießen Salate und Prosecco, lachen, quatschen ungezwungen miteinander. Ab und zu schielt jemand zur Tür. Die Gesellschaft wartet. Auf einen Künstler, der ihnen heute Abend einen Hausbesuch abstattet. Mehr wissen die GastgeberInnen nicht.

Die GastgeberInnen der rund 50 Hausbesuche, die im Rahmen der diesjährigen artgenda in Hamburg stattfinden, wisssen alle nicht, was in ihren Räumen abgehen wird. Initiator und Pate der Hausbesuche Jan Holtmann von der NoRoom Gallery betont, dass die Hausbesuche „ keine Vorstellung fertiger Objekte sind. Nicht wie ein Pizza-Service, der die fertige Pizza zum Kunden bringt. Hier wird Kunst nicht ausgeliefert. Es geht darum, was passiert, wenn man sie jemandem serviert.“

Es klingelt zwei Mal – der Künstler. Andrius Pulkaunikas, Tänzer und Choreograph aus Litauen, 28 Jahre alt, schüchtern. Er bereitet einen scharfen Gewürztee.Den Gästen stehen Fragezeichen in die Gesichter geschrieben: Lecker, aber war‘s das jetzt? Da verstummt die Musik. Ein heftiges Schnaufen dringt von der Treppe heran, die hinunter zu Miwas Atelier führt. Andrius hat unbemerkt seinen Oberkörper entblößt und schlängelt sich in Liegestütz-Position die Treppenstufen hinab. Der kahle Kopf ist bestückt mit einem Kopfhörer, den ein breiter Streifen schwarzen Tape-Bandes an den Schläfen fixiert. Der Künstler hört, was die Gäste nicht hören: das Hämmern eines saitenlosen Klaviers, ein Stück seines Freundes Jonas Jurhunas.

Es gehört zu Pulkaunikas‘ Idee, dass nur er die Musik hört, während das Publikum in konzentrierter Stille verharrt. Das Konzept geht auf. Die Gäste verfolgen aufmerksam die Transformation des Tänzers zum Tier, einer Mischung aus Schlange und Affe. Sein Kopf zuckt, als würde die Hammermusik ihm elektrische Schläge verpassen.

Pulkaunikas bearbeitet die gesamte Wohnung, rollt lautlos auf dem Boden des nicht Badezimmers vor und zurück, glotzt verständnislos durch das Bullauge der Waschmaschine, bis er durchs Fenster auf die Dachterrasse verschwindet. Ihm hinterher trotten Lucie, eine große kuschelige Hündin, zwei FotografInnen und zwei besonders Neugierige. Mehr dürfen nicht raus, „sonst bricht das Terrassendach ein“, mahnt Oliver. Macht nichts. Man hängt aus den drei Fenstern zum Hof, verfolgt, wie der Performer den Gartentisch massiert und atmet auf, als Pulkaunikas sich in den Liegestuhl sinken lässt. Die Spannung lässt nach, Heiterkeit breitet sich aus.

Oliver Schilling hat über Andrius‘ körperlicher Aneignung seiner Privaträume seine Wohnung völlig neu kennen gelernt. „Es reizt mich, so was auch mal zu machen. Allerdings erst, wenn alle weg sind.“

Dieser Hausbesuch war ein Erfolg. Das ist aber nicht immer so, räumt Philine Velhagen, Mitarbeiterin der NoRoom Gallery, ein. Beim Hausbesuch treffen schließlich unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander, die mit der Situation umgehen müssen. Die Idee, die Präsentation von Kunst jenseits des musealen Kontexts zum Thema zu machen, liegt allen Projekten der NoRoom Gallery zugrunde.

Die Hausbesuche auf der artgenda ermöglichen es zudem jungen KünstlerInnen, unabhängig von offiziellen Veranstaltungsorten zu agieren. Andrius Pulkaunikas stand den Hausbesuchen erst skeptisch gegenüber, hat sich dann aber überreden lassen, mitzumachen. Ein Glück für alle Beteiligten.

Hausbesuche noch bis zum 23. Juni. Information und Anmeldung unter Tel. 040 / 28 40 96 - 80 oder - 81. Man kann sich per Internet in den Info-Verteiler aufnehmen lassen unter hausbesuche@noroomgallery.com

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