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Gesundheit ist keine Ware

Attac demonstriert heute gemeinsam mit Gewerkschaften in Hannover für ein solidarisches Gesundheitssystem. Kritische Wirtschaftswissenschaftler rechnen in einer Studie mit der rot-grünen Gesundheitspolitik ab und entwickeln Alternativen

von BEATE WILLMS

Rechtzeitig vor dem Aktionstag „Mehr bewegen für eine gesunde Reform“, der heute in Hannover stattfindet, haben sich Attac sowie die Gewerkschaften IG Metall und Ver.di wissenschaftliche Unterstützung besorgt. In einem Sondermemorandum rechnet die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik mit der rot-grünen Gesundheitspolitik ab und entwickelt ein eigenes Konzept für ein weiterhin solidarisches Gesundheitssystem.

„Von ihren Ansprüchen her ist die Bundesregierung beachtenswert gestartet“, sagte Heinz Bontrup, Professor für Betriebswirtschaft in Gelsenkirchen, gestern bei der Vorstellung des Papiers. Die Umsetzung sei jedoch zu einem „gesundheitspolitischen Fiasko“ geworden – mit weiter steigenden Beitragssätzen und einer Unterfinanzierung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Ganz abgesehen von echten Strukturreformen bei der Qualitätssicherung, der Krankenhausfinanzierung oder der Integration von ambulanter und stationärer Versorgung.“

Einer der Kernpunkte des Papiers ist die Entmystifizierung der vermeintlichen Kostenexplosion. Wissenschaftlich lasse sich diese nicht belegen, so Bontrup. Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt ist in 20 Jahren um gerade mal 1,6 Prozentpunkte von 8,8 auf 10,4 Prozent gestiegen, der der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur um 0,4 Prozentpunkte. In Frankreich stieg er im gleichen Zeitraum von 7,6 auf 9,9 Prozent, in den USA von 9,1 auf 14,0 Prozent. Dass die Beitragssätze trotz der relativ stabilen Kosten weiterhin steigen, liegt an den sinkenden Einnahmen. Gründe hierfür machte Holger Paetow von der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik in der Massenarbeitslosigkeit sowie den niedrigen Tarifabschlüssen der letzten Jahre aus.

Als „ganz unheilvoll und kontraproduktiv“ bezeichnete Bontrup den Ansatz, das Problem durch Kassenwettbewerb zu lösen. Einzig nennenswerte Konsequenz der bisherigen Versuche sei „eine Selektion der Patienten nach solchen mit niedrigem und hohem Risikofaktor“. Trotz des Risikostrukturausgleichs gehe das auf Kosten der Allgemeinen Ortskrankenkassen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidts (SPD) Idee, die Grenze für die Versicherungspflicht auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung anzuheben, sahen die Ökonomen als „sehr guten Ansatz“, mehr Menschen, also auch Selbstständige und Beamte, in die GKV zu holen.

Langfristig empfehlen sie eine Umstellung bei den Arbeitgeberbeiträgen, deren Anteil seit 1970 von 23,7 Prozent um knapp 10 Prozentpunkte gesunken ist. Statt wie heute nur nach der Lohnsumme, müssten sie künftig nach der Wertschöpfung erhoben werden. Dies wäre gerechter, da die Unternehmen nach Leistungsfähigkeit herangezogen und arbeitsintensive Betriebe nicht länger gegenüber kapitalintensiven benachteiligt würden.

Aber auch die Privaten Krankenversicherungen haben die Ökonomen im Visier. „Warum sollen diese vom Risikostrukturausgleich verschont bleiben?“, fragte Bontrup. Die gut 50 Privaten Kassen zählen zu den Gewinnern der vergangenen Reformen. Von 1975 bis zum Jahr 2000 stieg die Zahl ihrer Mitglieder von 4,17 Millionen auf 7,52 Millionen, also um gut 80 Prozent, die Zahl der Zusatzversicherten verdoppelte sich sogar auf rund 7,5 Millionen. Insgesamt waren Ende 2000 rund 15 Millionen Menschen voll oder zusätzlich privat versichert. Dadurch werden der GKV jährlich rund 2 Milliarden Euro entzogen.

Als Ziel streben die Wissenschaftler wieder eine Einheitskasse an. „Die Wirtschaftswissenschaft ist eindeutig in der Einschätzung, dass Wettbewerb im Gesundheitsbereich kontraproduktiv ist“, so Bontrup. „Allein schon das Dreiecksverhältnis Patient/Kasse/Arzt führt die Theorie eines von Angebot und Nachfrage regulierten Marktes ad absurdum.“

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