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Nachhaltige Wirkung

Als wahre Allroundtalente entpuppt: Das Talliner Von-Krahl-Theater gastierte mit der Performance „Pirates“ auf Kampnagel

von MARGA WOLFF

Die Bühne ist in gespenstisches Dunkel getaucht. Undeutlich tauchen schwankende Silhouetten auf – verhüllte Gestalten, die sich mit raunender Stimme an ihre Ahnen erinnern. Freibeuter der Meere sind es gewesen, so wird da erzählt. Mit Namen wie „Hubema“ oder so ähnlich. Im Chor gesprochen zergeht das Wort auf der Zunge, weckt Sehnsüchte nach fernen Abenteuern.

Soviel zum Vorspiel von Pirates, einer Performance des Von-Krahl-Theaters aus Tallinn, die im Rahmen der artgenda auf Kampnagel gastierte. Die vier Darsteller nehmen eher das Unwesen zeitgenössischer Piraterie aufs Korn. Genüsslich wird da in absurden Geschichten das Showbiz mit seinen Machenschaften auseinander gepflückt, werden zweifelhafte Berühmtheit und versteckte Romantizismen hintersinnig entlarvt. Im Spinnen von Seemannsgarn könnten sieKäpten Blaubär das Wasser reichen. Pubertäre Omnipotenzfantasien, die sich im Licht von Modells, Markennamen und Medienstars sonnen und manche Gruselgestalt jüngerer Vergangenheit heraufbeschwören. Auf der Projektionsfläche persönlicher Eitelkeiten liegen Luftpiraten, Charles Manson und Naomi Campbell dicht nebeneinander. Dabei ist durchaus virtuos, wie es der Theatercrew hier gelingt die Fäden ineinander zu weben.

Das Stück entstand in Zusammenarbeit mit den Hamburgern Showcase Beat Le Mot, die man im Zuge des artgenda-Austauschs vor zwei Jahren kennenlernte. Begeistert von der unkonventionellen, multimedialen Inszenierungskunst der Showcase-Akteure, baten die Von-Krahl-Theatermacher die Hamburger Gruppe um ein Stück. Vor einem Jahr bereits fand die Premiere in Tallinns Von-Krahl-Theater statt, dem kleineren von zwei subventionierten Theatern in der estnischen Haupstadt.

Auf der Bühne wird spätestens bei den kantigen Formationstänzen dann auch die Showcase-Handschrift deutlich. Die vier jungen Pirates-Darsteller – zwei smarte Jungs, zwei toughe Girls – gehen hier jedoch eher charmant und weit weniger lakonisch als ihre Vorbilder zur Sache, fühlen sich auch kaum deren „noblem Dilettantismus“ verpflichtet, sondern entpuppen sich als wahre Allroundtalente, nicht zuletzt auf musikalischem Gebiet: Wie die rothaarige Liina Vahtrik sich da zur Walküre aufbaut und mit kraftvoll opernhafter Stimme den aufmüpfigen Smutje Juhan Ulfsak in die Knie zwingt, ist beachtlich.

Auf den Zuschauerrängen rechts und links der Spielfläche befindet sich das Publikum mit auf der Bühne, alle sitzen gewissermaßen in einem Boot. Von der Decke baumeln rote und grüne Laterne und kennzeichnen back- und steuerbord. Wenn Lampen und Monitore, die ebenfalls von der Decke hängen, in schaukelnde Bewegung versetzt werden, schwanken die Zuschauer unwillkürlich mit.

Die Inszenierung setzt auf ein Wechselbad von Stimmungen und versteht sich überzeugend auf leichte, leise, flüsternde Momente. Bilder abgefeimter Brutalität verpackt sie in naive Poesie und schummrig romantisches Licht – intelligent, ironisch, böse. Entfacht werden dabei augenzwinkernd Stürme im Wasserglas – mit nachhaltiger Wirkung.

Der Schluss ist dann ein echter Rausschmeißer – eine chaotisch hingedroschene Punk-Nummer. Die Ratten, sprich: die Zuschauer, verlassen das sinkende Schiff. Piraten von heute hält das wohl kaum von neuen Streifzügen ab. Veit Sprenger, Mitglied von Showcase Beat Le Mot und Konzept-Verantwortlicher der artgenda, sieht da gar deutliche Parallelen zum freischaffenden Künstlerdasein: „Man reist viel und lässt auch etwas da. Vor allem aber bringt man Beute mit.“ Hoffentlich ist die Ausbeute für das Von-Krahl-Theater jetzt in Hamburg nicht allzu üppig ausgefallen und es kehrt zu weiteren Eroberungszügen zurück.

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