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Loving Umland Music

Die Delmenhorster Jazztage huldigten den klassischen Standards genauso wie Grooves aus Vietnam, Norwegen und Tunesien

Hochkarätige Jazzkonzerte sind rar geworden in der Region. An diesem Wochenende fand aber in Delmenhorst das 13. Jazzfest statt. Konnte man früher das Jazzfest in der Qual der Wahl auch mal ein Jahr lang ignorieren, so ist es jetzt ein Höhepunkt der Saison.

Nun schon zum 13. Mal treten auf der Bühne des „Kleinen Hauses“ möglichst unterschiedliche Jazzformationen auf. Und am Publikum konnte man sehen, dass dieses Angebot dankbar angenommen wurde. Im zwar nicht ganz, aber gut gefüllten Konzertsaal saßen erstaunlich viele junge ZuhörerInnen.

Das Fest begann mit dem Pianisten Richie Beirach, dem Schlagzeuger Billy Hart und dem deutschen Bassisten Detlev Beier, die mit ihrem Auftritt so etwas wie einen klassischen Startpunkt des Festivals setzten. Sie spielten traditionellen, virtuosen Modern Jazz: fast nur Standards wie „Autumn Leaves“ oder „Footprints“. Die drei improvisierten auf hohem virtuosen Niveau.

Aber dem Auftritt hing auch ein leicht muffiger Geruch an: genau so wird seit über 30 Jahren improvisiert. Ein willkommenes Kontrastprogramm bot deshalb das Trio „Der Rote Bereich“, eine „Kneipenband“ aus Berlin, die sich nach der idealen Stellung eines Tankanzeigers benannt hat. Bei ihnen zählt Energie eindeutig mehr als Technik. Auf Bassklarinette, Gitarre und Schlagzeug spielten sie möglichst dreckig, originell und ironisch. Eine Mischung aus Noise, Rock, freier Improvisation und Albernheiten, die überaus sympathisch wirkte.

Die eigenwilligste und überzeugendste Formation des Jazzfests trat dann schon ziemlich spät am Freitagabend auf: Der Oudspieler und Sänger Dhafer Youssef aus Tunesien vermischte die traditionelle Sufimusik seiner Heimat mit einem eigentümlichen elektrischen Gitarrenjazz. Der junge norwegische Gitarrist Eivind Aarset ist eindeutig einer von dessen Meisterschülern, und seine Klangfelder und scharf schneidenden Rockriffs gaben eine aufregenden Kontrast zu Youssefs hymnischem Gesang und lyrischem Spiel auf der arabischen Laute. Dadurch blieb die Musik immer spannend, aufregend und faszinierend.

Eine weitere Band aus Berlin begann den zweiten Abend, und auch „Sprechzeit“ kann man sich gut auf einer Kneipenbühne in Kreuzberg vorstellen. Der Sprechsänger und Rapper Johannes A. Mehnert versucht hier Lyrik und Jazz zu verbinden – ein Lieblingsprojekt der deutschen Jazzer, und an die Projekte von Peter Rühmkorf und Wolfgang Schlüter erinnert hier nicht nur die Instrumentierung mit einem Vibraphon und Marimba (gespielt von Oli Bott) und die siebenköpfige Band (mit zwei Bläsern und einem DJ). Der Band gelangen einige wirklich schöne Stimmungen zwischen Balladen, Swing und Pop und ein Lyriker, bei dem sich „Traum“ auf „Rocksaum“ reimt, kann nicht ganz schlecht sein.

Die letzte Formation des Jazzfests war die aufwändigste und ambitionierteste: Der Gitarrist Nguyen Le Huong aus Vietnam versuchte die Volksmusik seiner Heimat mit Jazzrock zu verbinden. Dafür holte er sich die Sängerin Huong Thanh aus Saigon sowie den Musiker Hao Nhiem Pham, der traditionelle vietnamesische Instrumente wie die Bambusflöte und eine dreisaitige Laute spielt. Der Bassist Michel Alibo und die Keyboarderin Dominique Borker spielten dazu westliche Rhythmen und Arrangements, Perkussionist Francois Verly saá mit seinen Tablas und Trommeln zwischen den Lagern. Aber anders als Dhafer Youssef, der gerade aus den Gegensätzen der Stile gute Musik machte, schien Le zu sehr darauf bedacht zu sein, wohlklingenden Mainstream-Jazz zu machen. Die vietnamesischen Volksweisen wurden hochprofessionell verjazzrockt, mit viel Sound-Sosse aus dem Synthesizer und süffigen Grooves. Das klang alles sehr gefällig: Weltmusik light!

Wilfried Hippen

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