: Ökobibel formuliert Schritte in visionäre Zukunft
BUND und Misereor fordern neuen ökologischen Aufbruch und präsentieren zum Klimagipfel „Wegweiser für ein zukunftsfähiges Deutschland“
BONN taz ■ Autos verbrauchen zwei Liter Sprit, 20 Prozent der Energie kommt aus Sonne, Wind und Biomasse, jeder dritte Bauer arbeitet nach ökologischen Kriterien, und Deutschland gibt endlich knapp 0,7 Prozent seines Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe aus. So sieht die Vision aus, die der Umweltverband BUND und die katholische Entwicklungsorganisation Misereor in ihrem „Wegweiser für ein zukunftsfähiges Deutschland“ entwerfen. Vorgestellt wurde die Studie, an der knapp 60 Experten aus Politik und Wissenschaft, NGOs und Medien mitgearbeitet haben, am Wochenende in Bonn auf der Tagung „Nächster Halt Johannesburg“. Dort diskutierten etwa 400 Teilnehmer über Bilanzen und Erwartungen etwa bei der lokalen Agenda 21 in den Gemeinden, Landwirtschaft, Entwicklungshilfe und Lebensstil.
„Wir ziehen realistisch Bilanz“, sagte BUND-Chefin Angelika Zahrnt. „Aber wir brauchen auch den Mut zu Visionen, wie es weitergehen soll.“ Sie erwarte von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in Johannesburg einen ähnlich mutigen Schritt, wie ihn das Versprechen seines Vorgängers Helmut Kohl (CDU) in Rio darstellte, die deutschen CO2-Emissionen um 25 Prozent zu senken. Josef Sayer, Hauptgeschäftsführer von Misereor, lobte die rot-grüne Bundesregierung für die konkreten Ziele in ihrer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. „Das müssen wir in Druckpotenzial ummünzen.“
Den Tenor des „Wegweisers“ gibt der Chef der UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, im Vorwort vor: Nicht neue, große Beschlüsse seien erforderlich, sondern die Umsetzung der bereits in und seit Rio getroffenen. Die Autoren mahnen eine gerechtere Globalisierung an und fordern eine Weltumweltorganisation, eine neue Runde der Klimaverhandlungen, Senkung der Subventionen für fossile Brennstoffe und Agrarexporte in den Industrieländern und eine grundsätzliche Änderung des Lebensstils im Norden. Soll Nachhaltigkeit den Menschen nahe gebracht werden, brauche es „emotionale Zugänge“, heißt es.
Die gab es vor sechs Jahren bei dem Thema mehr als genug. Als BUND und Misereor 1996 die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ des Wuppertal-Instituts vorstellten, hagelte es wütende Proteste etwa der Bauern, die ihre Interessen bedroht sahen. Der Ansatz, die wolkigen Ziele der UN-Konferenz von Rio von 1992 auf Deutschland herunterzurechnen, „wirkte ansteckend“, so Zahrnt. „Im ersten Jahr danach gab es etwa 1.000 Veranstaltungen zu dem Thema.“ Die Studie, auch als „Bibel der Öko-Bewegung“ bezeichnet, holte den Begriff Nachhaltigkeit aus der akademischen Versenkung und machte Rio konkret. Sie wirkt auch in der rot-grünen Nachhaltigkeitsstrategie nach.
1996 waren die konkreten Kennzahlen der Clou: So sollte der CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent sinken, der Energieverbrauch halbiert werden, der Flächenfraß schon bis 2010 vollständig gestoppt und die Landwirtschaft ebenfalls bis 2010 vollständig auf öko umgestellt werden, damit Deutschland das Prädikat „nachhaltig“ verdiene. Nach wie vor sei die Studie gültig, hieß es auf der Konferenz. Ein bisschen an die realpolitischen Gegebenheiten angepasst wurden die Forderungen im „Wegweiser“ aber doch. Bei der neuen Bestimmung von Nachhaltigkeitsfaktoren verlegt der Pforzheimer Volkswirtschaftler Rudi Kurz das Ende der Flächenversiegelung auf 2050. Auch der Öko-Landbau soll nach seinem Vorschlag 2020 erst 25 Prozent betragen. BERNHARD PÖTTER
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