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Karsai weicht Personalfragen aus

Afghanistans „Loja Dschirga“ diskutiert, ohne sich auf Lösungen zu einigen. Der Präsident will Kommissionen gründen, aber sein Kabinett noch nicht nennen. Misstrauen zwischen den Ethnien immer größer. Angeblich Morddrohungen an Delegierte

aus Kabul SVEN HANSEN

In einer mit Spannung erwarteten Rede vor der Großen Ratsversammlung (Loja Dschirga) hat der am vergangenen Donnerstag zum Präsidenten Afghanistans gewählte Hamid Karsai keinerlei Hinweise über die Zusammensetzung seines künftigen Kabinetts gegeben. Er versprach eine saubere und effiziente Regierung, nannte aber keine Namen. Viele Delegierte erhoffen von der Loja Dschirga eine neue Machtbalance zwischen den verschiedenen Ethnien. „Alle mögen Herrn Karsai, aber es gibt viele Befürchtungen über sein Kabinett“, meint die Delegierte Fatima Gailani. Es herrscht allerdings keine Einigkeit, ob die Loja Dschirga oder Karsai selbst über die Vergabe einzelner Posten entscheiden soll.

Zum von Karsai am Freitag vorgeschlagenen Übergangsparlament, über dessen Zusammensetzung die Delegierten seitdem ohne Einigung stritten, schlug der künftige Präsident vor, aus den verschiedenen Regionen des Landes jeweils fünf Delegierte zu benennen. Sie sollen nach dem Ende der Loja Dschirga in Kabul über den Modus zur Zusammensetzung des Parlaments entscheiden. Karsai rechnet nicht mehr mit einer Einigung während dieser Loja Dschirga.

In seiner Rede, die er jeweils in Dari und Paschtu hielt, schlug Karsai die Einrichtung von zehn Kommissionen und zwei Sonderberatern vor. Die sollen sich um Themen wie Verteidigung, den Geheimdienst, Investitionen, staatliche Medien, eine saubere Verwaltung, eine Justiz nach islamischen Werten und die Menschenrechte kümmern. Personalvorschläge machte er auch hier nicht. Doch die Kommissionen verschaffen ihm Spielraum, um diverse Gruppen und Einzelpersonen, die bei der Kabinettsbildung leer ausgehen sollten, mit Posten zu versorgen.

Vor Karsais Rede war die Stimmung in der Loja Dschirga gestern auf einen Tiefpunkt gesunken. Am späten Vormittag interessierten sich nicht einmal mehr 10 Prozent der 1.600 Delegierten für die Reden. Nachdem Karsais Ansprache für den Nachmittag angekündigt und dann auf den Abend verschoben worden war, verließen viele Delegierte das Tagungszelt und kehrten erst später wieder zurück.

„Hier zu sitzen ist Zeitverschwendung“, sagte der paschtunische Arzt Mohammad Sabir Naseri aus der südlichen Provinz Sabul. Die Redner aus allen Teilen des Landes würden die immer gleichen und allen bekannten Probleme aufzählen. Doch politisch komme man nicht voran. „Es sieht nach Ermüdungs- und Verzögerungstaktik aus“, so Naseri. Der Paschtune Abdul Qader Khan aus Kandahar sagte: „Es ist wirklich frustrierend. Die Delegierten sollten wichtige Dinge klären. Dazu hätte Karsai früher kommen müssen und ein ausgewogenes Kabinett präsentieren sollen.“

Für Unzufriedenheit sorgten auch die willkürliche Sitzungsleitung und die vielen Redegelegenheiten, die Milizführer erhielten. „Die Warlords haben hier die rethorische Hoheit“, meint Nadschib Yussufi aus Steinbach bei Frankfurt, der die in Deutschland lebenden Afghanen vertritt. „Ob sie auf der Rednerliste stehen oder nicht, die Warlords haben das Wort, wann sie wollen.“

Als Reaktion auf die in den letzten Tagen laut gewordenen Klagen über Einschüchterungen bis hin zu Morddrohungen forderte Karsai die betroffenen Delegierten auf, ihm darüber unter vier Augen zu berichten. „Ich werde mich dann darum kümmern. Wenn nicht, könnt ihr mich absetzen“, sagte Karsai.

Die Loja Dschirga wird voraussichtlich heute zu Ende gehen, könnte aber auch um einen weiteren Tag verlängert werden. Konkrete Entscheidungen sind allerdings nicht mehr zu erwarten.

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