: Wenn Tomatenmark arm macht
Unctad-Bericht: Wirtschaftswachstum hilft stärker als angenommen bei der Armutsbekämpfung – wenn es über höhere Produktivität und mehr Konsum erreicht wird. Entwicklungsländer brauchen aber Versicherung gegen fallende Rohstoffpreise
von KATHARINA KOUFEN
Extreme Armut kann durch Wirtschaftswachstum viel stärker reduziert werden als bisher angenommen. Damit es allerdings zu Wachstum in den ärmsten Ländern der Welt kommt, braucht es neue Strategien. Die Konzepte des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Armutsreduzierung sind falsch. Das sind die Ergebnisse einer Studie der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad), die gestern in Berlin vorgestellt wurde.
„Die Mehrheit der am wenigsten entwickelten Länder hat in den letzten Jahren gewissenhaft IWF-Programme durchgeführt – und trotzdem konnte die extreme Armut nicht verringert werden“, so Unctad-Ökonom Michael Hermann. „Die IWF-Politik führt eben nicht zu Wachstum.“ Eine gute Wirtschaftspolitik in den Entwicklungsländern dürfe nicht „Märkte öffnen und dann den Staat auf eine Nachtwächterposition“ minimieren. Stattdessen müsse sie Anreize schaffen, damit Geld in produktivere neue Anlagen investiert oder für Konsum ausgegeben wird.
Falsch sei auch die Vermutung, die Armut in den am wenigsten entwickelten Ländern habe damit zu tun, dass sie nicht ausreichend in den Weltmarkt integriert seien: Ende der 90er-Jahre trugen Ein- und Ausfuhren im Durchschnitt 43 Prozent zum Gesamteinkommen der ärmsten Länder bei – das ist in etwa so viel wie in den EU-Ländern. Statt mehr Integration benötigten die ärmsten Länder eine breitere Palette an Exportprodukten, meint die Unctad. Darüber hinaus sollten solche Länder sich gegen fallende Rohstoffpreise versichern können.
Klar wie der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Armut ist für die Unctad auch der Zusammenhang zwischen Rohstoffexporten (mit Ausnahme von Erdöl) und Armut. „Die rohstoffexportierenden Länder sind am weitesten in der Entwicklung zurückgeblieben“, heißt es in der Studie. Und: Aufgrund stetig sinkender Weltmarktpreise für Kaffee oder Zucker liegt das Einkommen in diesen Ländern heute sogar noch niedriger als 1970.
Dies trifft vor allem auf die afrikanischen Länder zu, wo die absolute Armut mit einem Einkommen von unter 1 Dollar pro Tag von 46 auf 65 Prozent stieg. Schuld daran ist auch die Agrarpolitik der EU und der USA: Früher exportierten nordafrikanische Länder Tomatenmark, heute kaufen sie es von der EU, weil es, dank Subventionen, billiger ist.
In den asiatischen Entwicklungsländern dagegen sank die absolute Armut im selben Zeitraum von 36 auf 23 Prozent der Bevölkerung. „Diese Länder exportieren in erster Linie Dienstleistungen“, so Hermann.
Damit die kleinen Erfolge bei der Bekämpfung der Armut nicht gleich wieder zunichte gemacht werden, sollen die Geberländer ihre Entwicklungshilfe erhöhen und mehr Schulden erlassen. Denn bisher machen die Einsparungen im Schuldendienst für die am wenigsten entwickelten Länder gerade mal fünfeinhalb Prozent der Entwicklungshilfe aus.
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