big in korea: FRANK KETTERER über den Ausbruch von Wahnsinn
Loderndes Inferno der Freude
Korea war müde am Tag danach. Ein kleiner Kater hatte sich schläfrig-gähnend über das Land gelegt, was nicht weiter verwunderte nach all dem Rausch am Abend zuvor. 3,5 Millionen Menschen, so wurde es anderntags vermeldet, waren auf den Straßen, Plätzen und Parks des Landes unterwegs und schauten auf mehr oder weniger großen Fernsehbildschirmen und Leinwänden dabei zu, wie ihnen in Daejeon Helden geboren wurden aus einem Fußballmatch, das in Südkorea, obwohl gestern erst gespielt, heute schon glorreiche Geschichte ist.
Auch in Seogwipo haben sie das große Licht im Stadion und die beiden Monitortafeln noch einmal angeknipst und die Türen aufgeschlossen. Und am Ende waren mehr als 18.000 Menschen gekommen, Männer und Frauen und jede Menge Kinder, die meisten von ihnen in rote Trikots gekleidet, um dabei zu sein, wenn ihr kleines Fußballland das große Fußball-Italien nach Hause schicken würde, auch wenn die Begegnung nur über eine Leinwand flimmerte.
Das Stadion von Seogwipo – es war an diesem Abend die Jubelhölle. Es war ein Rummelplatz aus spitzesten Schreien der Verzweiflung und noch spitzeren Schreien des totalen Jubels. Südkorea kann viel verzweifeln und jubeln während so eines Spiels, eigentlich fortlaufend und jedes Mal, wenn der Ball auch nur in die Nähe eines Strafraums kommt, ganz egal auf welcher Seite.
Der Elfmeter zu Spielbeginn – in etwa so laut wie ein startender Jumbo. Der Ausgleich kurz vor Spielende – ein Düsenjet. Die rote Karte für Totti und schließlich der Siegtreffer – als starte eine Rakete zum Mond. Und dazwischen immer wieder die „Taehan Minguk“-Schlachtrufe aus etwa 18.000 Kehlen.
Es war ohrenbetäubend. Es war der Wahnsinn. Es war wunderbar. Ein loderndes Inferno der Freude, und jedes Mal, wenn das letzte Tor, das Golden Goal, dieses Abends nochmals gezeigt wurde, brandete der Jubel erneut auf, auch später, in den Straßen und Gassen der Stadt, in denen die Autos bis in die frühen Morgenstunden hupend unterwegs waren.
Und natürlich legte auch das Fernsehen Sonderschichten ein und zeigte auf so ziemlich allen Kanälen immer nur eines: Spielszenen und die Treffer Koreas. Immer wieder. Bis zum Abwinken. Höchstens ab und an unterbrochen von Berichten über Guus Hiddink, den holländischen Trainer der südkoreanischen Mannschaft, den hier alle als Vater des großen Erfolgs feiern, was man schon daran erkennen konnte, dass manche Südkoreaner sich Guus-Hiddink-Masken aufgesetzt hatten. „Hiddink for President“, war sogar auf einem Plakat zu lesen, was Staatschef Kim Dae Jung weniger gefallen haben dürfte. Den Trainer nach dem Spiel herzlich umarmt hat er dennoch, auch das wurde natürlich im Fernsehen in allen Details übertragen.
Nun heißt es sogar, man wolle den Holländer Hiddink schleunigst zum Südkoreaner machen und einbürgern, die obligatorischen Sprach- und Geschichtsprüfungen müsste er dafür natürlich nicht ablegen. Und wenn, würde man ihm ganz bestimmt eine Frage stellen wie diese: Herr Hiddink, wie heißt der Trainer, der Südkorea erstmals in das Viertelfinale einer Fußball-WM führte? Guus Hiddink würde dann sagen: Guus Hiddink. Und dann würden sie alle gemeinsam aufspringen und weiter tanzen und singen und feiern – und Hiddink wäre ab sofort ein echter Südkoreaner.
All die Geschehnisse zusammengefasst, kann man also sagen, dass hier eine rechte Fußballbegeisterung ausgebrochen ist, eine Euphorie, was sich leicht auch an all den roten Trikots abzählen lässt, die die Koreaner in diesen Tagen tragen, nicht nur während der Spiele ihrer Mannschaft. „Korean Fighting“ oder „Be the Reds“ steht darauf, über acht Millionen Mal, so heißt es, seien die Hemdchen seit WM-Beginn verkauft worden.
In diesen Tagen werden es wohl noch ein paar mehr werden. Schließlich steht am Samstag das Viertelfinale gegen Spanien an, das nächste große Fußballfest.
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