piwik no script img

Und das war gut so

„Das ganze Land kann von Fußballern lernen“: Japan verzichtet nach dem WM-Ausscheiden auf eine selbstzerfleischende Nabelschau und wendet sich dankbar für das Erreichte Gastgeberpflichten zu

aus Tokio MARTIN HÄGELE

Auch 24 Stunden danach klang Hama-sans Stimme noch traurig, obwohl der Berater von Japans WM-Organisationschef die Unwägbarkeiten der Szene genau kennt. Er war der gute Geist der WM-Bewerbung, über Jahre hinweg der erste Mann für PR und Marketing. Parallel dazu forciert der immer freundliche Herr im Auftrag von Dentsu, der weltgrößten Werbeagentur, das Fußball-Geschäft in seiner Heimat. „Ich bin so enttäuscht“, sagt Hama-san. Und das, obwohl er gerade aus einem Meeting kommt, bei welchem die Macher diese WM und Protagonisten von Nippons Fußball Maßnahmen getroffen haben, um der Depression Herr zu werden – und die blaue Welle noch einmal rollen zu lassen. Man kann die zehn Tage bis zum Finale in Yokohama nicht mit hängenden Köpfen herumlaufen, nur weil die Elf des Gastgebers ausgeschieden ist.

Deshalb wird Junji Ogura heute im internationalen Medienzentrum eine Pressekonferenz geben, um der ganzen Welt zu erklären, dass das Fußballfieber im Land der aufgehenden Sonne nicht ins Koma gefallen ist. Der OK-Boss und Vizepräsident des Verbandes wird den Millionen Fans erklären, dass das Leben auch nach einer Niederlage weiter geht. Dass Nippons Auswahl zum ersten Mal überhaupt in der K.o.-Runde ankam, wird er als einzigartigen Erfolg in der 60-jährigen WM-Geschichte des Verbands verkaufen.

Vollkommen zu Recht. Hätte irgendein Seher der Blue Army vor vierzehn Tagen eine solch fantastische WM-Tour garantiert, alle hätten mit glänzenden Augen sofort gebucht. Die Enttäuschung entstand schließlich nur, weil die Wünsche so unrealistisch in den Himmel gewachsen waren. Zum Glück der Veranstalter haben sich die Meinungsmacher in den riesigen Zeitungsunternehmen von Tokio und Osaka nicht blenden lassen von der Masseneuphorie. Sie reagierten geschickt auf die Millionen geplatzter Träume. Ohne patriotische Untertöne schilderten die meisten Reporter das Ende einer Utopie: Mit den Türken war das junge Team Japans auf einen sportlich reiferen Gegner getroffen. Sachlich analysierten ein paar sogar die Fehler, welche dem trotz allem gefeierten Trainer Philippe Troussier unterlaufen waren, als er versuchte, nach den Sternen zu greifen.

Die Tristesse der WM-Planer hat nicht aufs Volk übergegriffen. Die Basis hat sich anscheinend schneller von ihrem Schock erholt, als viele geglaubt haben angesichts der Bilder aus der Arena von Miyagi oder dem Tokioter Olympiastadion. Zwar heulten Tausende wie am Ende eines sentimentalen Hollywood-Films um die Popidole Nakata, Inamoto und Ono. Der Alltag läuft freilich weiter, heißt die Botschaft, die der Verband nun verkündet, und man werde jetzt erst recht den Gästen aus Brasilien und England, der Türkei und Senegal die gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen.

Zum Glück für die WM hat das Aus nicht die „roten Teufel“ getroffen. In Japan betreibt man den Wettbewerb mit den Südkoreanern längst nicht so fanatisch wie umgekehrt. Dass die Mannschaft von Guus Hiddink an diesem denkwürdigen Abend von Daegu nicht nur die Squadra Azzurra aus dem Turnier geworfen hat, sondern mit dem größten Triumph einer asiatischen Fußballnation auch den ungeliebten Nachbarn besiegt hat, empfinden Japaner weniger schlimm.

Sie werden wohl auch zu den vier letzten WM-Partien ihre blauen Trikots anziehen. Ansonsten werden sie sich auf das nächste Turnier in Deutschland freuen, zu welchem ihre Nationalelf nicht mehr als Exoten-Team reisen wird. Und sie werden ganz genau verfolgen, wie der nächste Heilsbringer nach Troussier heißen wird. Es muss ein größerer Name sein, als ihn der Franzose vor vier Jahren besessen hat. Ihm hat Premierminister Koizumi öffentlich dafür gedankt, dass die Kicker einer kriselnden Wirtschaft und in ihrem Selbstbewusstsein Halt gegeben haben. „Das ganze Land kann von der Moral seiner Fußballer lernen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen