Freiheitliche Bildung tabuisiert

betr.: Bildungsreform

Eine gute Bildungspolitik müsse alle Schüler fördern, so Gerhard Schröder sinngemäß in seiner Regierungserklärung am 13. Juni 2002. Doch ist dies möglich?

Unser Schulsystem basiert auf zwei ideologischen Säulen: Zwangslernen und Auslese durch Noten. Auslese bedeutet, dass ein Teil der jungen Menschen nicht fähig sein darf, die von Erwachsenen geforderten Leistungen zu erbringen. Demütigungen und seelische Kränkungen sind die Folge. Junge Menschen können so kein positives Selbstwertgefühl entwickeln. Aus dem Gefühl von Angst, permanenten Niederlagen und von Minderwertigkeit entwickeln sich Hass und Gewalt. […]

„Zwangsbildung“ widerspricht einer an freiheitlicher Selbstbestimmung orientierten Gesellschaftsordnung fundamental. „Zwangsbildung“: Da setzt der Staat für den jungen Menschen Grundrechte außer Kraft, höhlt so selbst den Geist unserer freiheitlichen Verfassung aus, um seine Interessen einer politischen Sozialisation durchzusetzen. Der junge Mensch soll lernen, der Staat ist so mächtig, dass er ihm jahrelang die Freiheit nehmen kann. Da sind sich alle Parteien völlig einig. (In den 70er-Jahren sprach man von der Schule als „Teilzeit-Gefängnis“: längst verdrängte Vergangenheit! Auf Grund der Pisa-Studie soll nun die staatliche Fremdbestimmung zeitlich erweitert werden.)

Wer aber soll an einer Änderung interessiert sein? Die universitären Wissenschaften? Wohl kaum! Die Universität ist selbst ein bürokratischer und hierarchischer Koloss: Von ihr gehen kaum freiheitliche und humane Impulse aus. Die Eltern: Oft sind sie froh, wenn ihre Kinder „weggesperrt“ werden. Die Lehrerverbände? Sie vertreten die Interessen von Lehrern und nicht die von Schülern. Zwar gibt es eine eigene Lobby für Kinder: den deutschen Kinderschutzbund. Doch auch er nimmt an „Zwangsbildung“ – wenn überhaupt – nur vordergründig Anstoß. In der neu entbrannten Bildungsdebatte ist wiederum kein Platz für Bedürfnisse und Rechte des jungen Menschen, er bleibt Objekt gesellschaftlicher Interessen. Der Aspekt einer der Würde des jungen Menschen angemessenen freiheitlichen Bildung wird daher weiterhin tabuisiert. HANS GÖPFERT, Donaustauf

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