: Was Leiharbeit mit mehr Jobs zu tun hat
Auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung diskutierten Experten, ob Leiharbeit und befristete Beschäftigung Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren können. Die Erfahrungen der Betroffenen sind meist negativ
BERLIN taz ■ Über Statistiken lässt sich trefflich streiten: Killen Leiharbeit und befristete Beschäftigung die guten alten Vollzeitstellen? Oder sind sie geeignet, Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, gar zusätzliche Stellen zu schaffen? Die Hans-Böckler-Stiftung lud am Dienstag ein, über diese Fragen zu diskutieren. Auf dem Podium spiegelten sich die aktuellen politischen Positionen wider.
Ein knappes Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland sind Leiharbeiter. Das heißt, sie werden zwar von einer Leiharbeitsfirma angestellt, arbeiten aber im Betrieb einer Drittfirma, dem so genannten Entleiher. Neun Prozent der Erwerbstätigen sind in befristeten Anstellungen tätig. Diese dürfen nach der aktuellen gesetzlichen Regelung maximal zwei Jahre dauern. So weit die Fakten, über die sich das Podium noch einig war.
Das war aber auch schon das Einzige. Über alles andere wurde unerbittlich gestritten. Gudrun Linne von der Hans-Böckler-Stiftung vertrat dabei die Position des Sokrates, der weiß, dass er nichts weiß: Mit dem derzeitigen Forschungsstand sei keine Aussage darüber möglich, ob Leiharbeit den regulären Arbeitsverhältnissen Konkurrenz mache.
Dem widersprachen die Sophisten auf beiden Seiten des Podiums: Rechts von Linne saß Rolf Heinze von der Uni Bochum. Er meinte, Leiharbeit erleichtere sehr wohl den Einstieg in die Arbeitswelt. Und wenn schon der Kündigungsschutz nicht gelockert werde, so müsse die Regierung wenigstens die Leiharbeit weiter deregulieren. „Aber man tut nichts“, klagte Heinze.
Dass dringend etwas getan werden müsse, fand auch Johannes Jakob vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Er saß auf dem Podium Gudrun Linne zur Linken. Es sei ein „weit verbreiteter Irrtum“ zu glauben, der Abbau von Arbeitnehmerrechten führe zu erhöhter Beschäftigung. Stattdessen müssten auch bei der Leiharbeit Tarifverträge eingeführt werden, die eine Gleichbehandlung der Leiharbeiter mit den Stammbelegschaften festschreiben.
Den Vorschlag der rechten an die linke Seite des Podiums lehnte Jakob jedoch ab: Heinze wollte dem Teufel das Weihwasser schmackhaft machen und forderte die Gewerkschaften auf, selber mustergültige Leiharbeitsfirmen zu gründen.
Was die heute in den Leiharbeitsfirmen gängige Praxis für die Arbeitnehmer bedeutet, macht eine Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen deutlich. Leiharbeiter in den Automobilwerken von Zwickau und Stuttgart wurden nach ihren Erfahrungen befragt. Die Antworten stimmen pessimistisch: Missachtung durch die Stammbelegschaft, Ausgrenzung, Lohn unter Tarif. Peter Noller, Ko-Autor der Studie, kommt zum Schluss: „Leiharbeiter erleben ihre Arbeit als unerträgliche Sklavenarbeit.“
Doch nicht nur die Leiharbeiter bezahlen ihre Stelle mit gravierenden Nebenwirkungen, sondern auch die Gesellschaft: Peter Noller stellte fest, dass Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen Ausländer verstärkt als Konkurrenten wahrnehmen.
PHILIPP MÄDER
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