: Entscheidend: die Notlage der Frau
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs ist die Debatte um die Spätabtreibung noch nicht zu Ende: Union will, dass mehrere Ärzte über die medizinische Indikation entscheiden. Rot-Grün will mehr Beratung. Unionsantrag im Juli im Bundestagsplenum
aus Freiburg CHRISTIAN RATH
Der Versuch, Spätabtreibungen auf gerichtlichem Wege zu verbieten, ist am Dienstag vor dem Bundesgerichtshof gescheitert. Wenn die Gesundheit der Schwangeren bedroht ist, können Abtreibungen auch in Zukunft noch bis zur Geburt durchgeführt werden, entschied der BGH. Damit ist die Debatte aber nicht beendet.
Im Bundestag liegt noch ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor, mit dem Spätabtreibungen erschwert werden sollen. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2000 rund 135.000 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. 154 Abtreibungen (etwa 0,1 Prozent) fanden erst nach der 23. Woche statt. Solche Abbrüche gelten als ethisch problematisch, weil hier ein Fötus dank Intensivmedizin oft auch außerhalb des Mutterleibs überleben könnte. Manche Föten überleben sogar solche Spätabtreibungen und werden dann „liegen gelassen“ oder gezielt getötet.
Ausgelöst werden Spätabtreibungen entweder durch medizinische Komplikationen in der Schwangerschaft oder durch beunruhigende Befunde aus der Pränataldiagnostik. So werden Fruchtwasseruntersuchungen in der Regel zwischen der 15. und 18. Schwangerschaftswoche durchgeführt, Ultraschalluntersuchungen auch deutlich später.
Im Fall, den der BGH jetzt zu entscheiden hatte, waren bei der Sonographie Auffälligkeiten an Armen und Beinen erst in der 20. Woche zu sehen. Das Gericht entschied nun, dass diese ethische Problematik nicht zu Lasten der Frau gelöst werden darf. Die theoretische Lebensfähigkeit des Embryos sei keine absolute Sperre für die Zulässigkeit von Abtreibungen. Vielmehr sei jeweils eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der auch die Dauer der Schwangerschaft eine große Rolle spielt. Je älter der Fötus, umso schwerer muss die medizinisch-soziale Notlage der Frau wiegen. Hierbei ist dann auch die Gefahr von Depressionen oder Selbstmord nach der Geburt eines schwer behinderten Kindes in Rechnung zu stellen.
Die CDU/CSU will sich damit nicht zufrieden geben. Sie beruft sich auf das Bundesverfassungsgericht, das 1993 dem Bundestag eine „Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht“ auferlegt hat. Schon im Juli 2001 hatte die Fraktion gefordert, im Paragrafen 218 a des Strafgesetzbuches „klarzustellen“, dass eine absehbare Behinderung allein kein Grund für eine Abtreibung ist. Das ist aber reine Symbolik, weil davon auch niemand ausgeht.
Vielmehr geht es stets um die psychische Notlage der Frau. Des Weiteren will die Union, dass Schwangere vor einer pränatalen Diagnostik und auch nach einem problematischen Befund beraten werden „müssen“. Außerdem soll die medizinische Indikation für eine Abtreibung künftig nicht mehr durch einen einzelnen Arzt, sondern durch ein „interdisziplinär besetztes Kollegium“ gegeben werden. Über die Notlage der Frau würde dann ein Ausschuss entscheiden, dem zum Beispiel ein Gynäkologe, ein Kinderarzt, ein Psychologe und ein Humangenetiker angehören.
Dieser Antrag wurde jüngst im Rechtsausschuss des Bundestags von der rot-grünen Mehrheit abgelehnt, weil hier zu viel Druck auf die Schwangere ausgeübt werde. Stattdessen wollen SPD und Grüne im Mutterpass auf Beratungsangebote und den Rechtsanspruch auf Beratung hinweisen. Der Antrag wird vermutlich im Juli abschließend im Plenum beraten.
„Nach dem BGH-Urteil ist der Bundestag jetzt erst recht gefordert“, betonte gestern Johannes Singhammer, der sozialpolitische Sprecher der CSU.
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