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Haushoch am Leben vorbei

Literatur für Literaturwissenschaftler und für Stammgäste des Café Schwarzsauer: Der Germanistikprofessor Gregor Hens las im LCB aus seinem Debütroman „Himmelssturz“

Das Café Schwarzsauer in der Kastanienallee ist kein Ort, an dem viele Bücher gelesen werden. Die Zeitungen vom Tage, das ja und durchaus zahlreich, aber für ein Buch ist es in der Regel zu hektisch. Umso überraschender, wenn ausgerechnet hier an einem lauen Frühsommerabend eine jüngere Frau mit Gregor Hens’ Debütroman „Himmelssturz“ vor der Nase sitzt. An sich kein Buch, das schnell in der Kneipe weggelesen werden kann, kein Pop-Buch und auch kein Bestseller in spe, fragt man sich: Waren es die beiden überschwänglichen Besprechungen in FAS und SZ, die „Himmelssturz“ sogar ins Schwarzsauer gespült haben? Oder etwa die Anzeigen, die der Bertelsmann-Verlag sofort mit den lobenden Schlüsselwörtern der Besprechungen geschaltet hat?

Bei Hens’ Lesung am Mittwochabend im LCB am Wannsee findet dagegen Business as usual statt: 30 bis 40 Leute sind da, Freunde von Hens, Literaturbetriebsangehörige und wohl auch ein paar aus freien Stücken an Literatur Interessierte. Iljoma Mangold, Literaturredakteur der SZ und begeisterter Rezensent von „Himmelssturz“, moderiert und macht es mit der Vorstellung von Person und Vita kurz: 1965 in Köln geboren, seit zehn Jahren in Amerika, Professor der Germanistik an der Ohio State University, Columbus. Ausführlicher äußert Mangold sich zum „großartigen“ Buch, das sich auf drei Säulen stütze: Figuren, Sprache und literarische Referenzen. Insbesondere das Innenleben der vier Hauptfiguren hat es ihm angetan. Dabei bringt die eine, die Anthropologiestudentin Helene, das stabile Beziehungsgeflecht der anderen völlig durcheinander. Vor allem das des Erzählers Farald, der Professor an einer Universität im Mittleren Westen der USA ist, und seiner Frau Skye, einer Kunstsammlerin und Bankerin. Vierter in diesem Bunde ist der Architekt Antonin, der für Farald und Skye das ideale Haus bauen will. Dieses, man weiß es von Beginn an, wird am Ende nicht von Farald und Skye bezogen, weil ihre Beziehung in die Brüche geht.

Nun kann man sich darüber streiten, ob es gerade die Figuren und ihr Innenleben sind, die dieses Buch ausmachen. So spektakulär sind ihr Leben und ihre Charaktere nicht. Oft macht es den Eindruck, als setze Hens zu sehr auf Leerstellen, auf das, was nicht gesagt wird. Schon eher ist es die klare und präzise, um nicht zu sagen: harte Sprache, die für das Buch einnimmt. Weniger als Beziehunsgroman überzeugt es denn als Amerikaroman mit zahlreichen Passagen über den American way of life. Hens und Mangold arbeiten dann schön die verschiedenen Aspekte von „Himmelssturz“ heraus: Campus, Amerika, Bauen und Leben. Hens liest kurze Auszüge und gibt sich im Gespräch mit dem eifrigen Mangold eloquent und auskunftsbereit. Wichtig ist es ihm zu sagen, dass er keinen realistischen Roman schreiben wollte, dass es gerade im Hinblick auf Amerika eine „vermittelte literarische Realität“ sei, die sein Buch darstelle. Kafkas „Amerika“ führt er als Vorbild an, vor allem aber Vladimir Nabokov, der das Land toll gefunden, sich aber immer fremd gefühlt habe.

Auch als Mangold die zahlreichen direkten literarischen Referenzen anspricht, ist Hens freimütig: Klar, die „Wahlverwandtschaften“ bildeten den Intertext; ja, auch Martin Walsers „Brandung“ sei Vorbild gewesen und eine unsympathische Figur Thomas Brasch nachempfunden (warum, sagt Hens aber nicht); selbst ein Zimmerchen für Thomas Bernhard hätte er im Buch eingerichtet.

Gerade dessen „Korrektur“ aber lassen Mangold und Hens dann aus. In diesem Buch zerstört ein wahnwitziges architektonische Vorhaben das Leben zweier Menschen; und auch James Salters „Lichtjahre“ fehlt, das viel eleganter als „Himmelssturz“ den schleichenden Verfall einer traumhaft vorbildlichen Ehe schildert. Viel Literaturliteratur also. Aber das macht ein gutes Buch ja auch aus: dass es dazu einlädt, erneut ein paar andere Bücher zu lesen. GERRIT BARTELS

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