: „England ist das beste Team“
Interview mit dem brasilianischen Botschafter José Artur Denot Medeiros über die Bedeutung der Seleção
taz: Herr Medeiros, hat sich die Botschaft im Fall des Ausscheidens ein Notfallprogramm zur Betreuung all der verzweifelten Fans zurechtgelegt?
José Artur Denot Medeiros: Haben wir leider nicht. Ich schaue das Spiel auf einem Bildschirm in der Botschaft. Da können wir uns danach allenfalls um die 60 Angestellten kümmern. Bisher hatte Brasilien ja wunderbare Matches. Wenn sie verlieren, wäre das eine völlig neue Erfahrung.
Sie sind also überzeugt, dass die Seleção England schlägt?
Überhaupt nicht. England ist der Favorit. Das ist das beste Team. Die haben den schönsten Fußball bisher gespielt.
Meinen sie das ernst?
Brasilien ist ein anfälliges Team, mit einigen Schwächen. Natürlich haben wir drei, vier gute Spieler, die an einem guten Tag das Spiel entscheiden können. Ich denke da an Jungs wie Ronaldo, Rivaldo, Roberto Carlos, vielleicht Cafú. Aber wenn ich mir das Team als Ganzes ansehe, habe ich meine Zweifel.
Sind Sie wenigstens mit der offensiven Spielweise zufrieden?
Bevor die Auswahl nach Korea gereist ist, war sie im Land nahezu diskreditiert, fast niemand hat daran geglaubt, dass sie bis ins Viertelfinale kommt. Zum ersten Mal in der Fußballgeschichte Brasiliens hat ein Großteil der Bevölkerung ihr wenig zugetraut. Jetzt gibt es einen Sinneswandel. Langsam glauben die Leute, dass mehr drin ist. Die Kritiker verstummen freilich nicht. Die Abwehr ist nicht stark genug, sagen sie. Nicht zu Unrecht.
Dann muss das Team wohl mehr denn je auf seine Ballzauberer vertrauen?
Wir haben längst nicht das Image des perfekten, idealen Teams wie etwa 1970 oder 1982. Wir sind in den Möglichkeiten beschränkter. Unser heutiges Team ist sehr kämpferisch. Und: Die Mannschaft hat sich sehr gesteigert. Wir sind nicht mehr das Brasilien vom Auftakt gegen die Türkei.
Hilft Ihnen als Botschafter derzeit der Fußball, um politische Anliegen leichter an den Mann zu bringen?
Nein. Man spricht nur viel mehr über mein Land. Die WM vereint die Länder. Sie ist kein Krieg, wie manchmal behauptet. Sie erstickt eher den Chauvinismus der teilnehmenden Nationen, weil die Medien so viel über andere berichten und nicht nur Nabelschau betreiben.
Macht es Ihnen der Fußball nicht manchmal schwer, weil – neben anderen Klischees wie Karneval, Rio und Samba – das wahre Gesicht Brasilien verdeckt wird?
Fußball gehört nun einmal zum Brasilien-Stereotyp der Deutschen. Und es ist nicht nur ein Stereotyp.
Wie weit reicht die politische Bedeutung des Fußballs in die brasilianische Politik?
Auf lokaler Ebene spielt das sicher einen Rolle, darüber weniger. Natürlich hat die Seleção die Aufgabe, alle Nationalitäten und politischen Kräfte in Brasilien zu einen und Probleme vergessen zu machen.
Im Oktober werden Präsidentschaftswahlen stattfinden. Profilieren sich die Kandidaten da auch – wie hierzulande Schröder und Stoiber – als große Fußballfans?
Natürlich. Die würden nie einen kritischen Ton über die Seleção verlieren.
Ihr Tipp gegen England?
3:2 für Brasilien.
INTERVIEW: MARKUS VÖLKER
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