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berlin buch boom Zum Hauslöffel degradiertCoole Geschichten von alternativen Beziehungen

Die letzte Geschichte ist wohl die schönste. Darin erzählt Frieder von der Liebe zu den Frauen und wie schwer er es damit hat. Dass er feste Beziehungen erlebte und sich, nach den rauschhaften Anfangsphasen, doch immer wieder nur vereinnahmt und zum Hauslöffel degradiert gefühlt hätte. Da suchte Frieder lieber das Weite. „Love-Sharing“ betreibt der Hamburger Schriftsteller nun, mit vier Liebhaberinnen gleichzeitig, sorgfältigen Terminabsprachen – und mit Erfolg.

Frieders Geschichte ist eines der zahlreichen Selbstzeugnisse, die die Berliner Journalistin Simone Schmollack in ihrem Buch „Ich will Leidenschaft“ zusammenstellte. Schmollack interviewte Personen im Alter zwischen dreißig und vierzig Jahren, die ein Liebesleben jenseits der gängigen Beziehungsmodelle Ehe und feste Partnerschaft führen: „Heute sind die Bindungsformen vielfältiger als noch vor sechzig Jahren“, meint die Autorin bei einem Gespräch am Telefon, „man liest ja oft, die Ehe hätte ausgedient. Aber wie sieht das Andere nun aus? Das wollte ich zeigen.“

Herausgekommen sind dabei unterhaltsame Intimbekenntnisse zum ewigen Thema. Die „Geschichten von Dreißigjährigen über Lust und Liebe“ geben Auskunft über die Enge der Zweisamkeit und einer – im öffentlichen Bewusstsein immer noch bindenden – Moral. Und auch darüber, wie diese Enge aufgebrochen oder umgangen wird. Wie Menschen ihre Lust auf mehrere Partner verteilen, Sexbindungen knüpfen, als Jäger und Sammler unterwegs sind, ältere, jüngere Menschen oder bisexuell lieben, ohne Sex leben oder auch nur in getrennten Wohnungen, um sich nicht eines Tages zu erschießen.

Simone Schmollack präsentiert in fünfundzwanzig Texten ebenso viele verschiedene „Alternativmodelle“. Sie lässt die Porträtierten ihre Geschichten erzählen. Da ist zum Beispiel Berit, eine ganz Forsche. Die 36-jährige Eventmanagerin hat keine Lust auf festen Freund und Familie. „Meine Reproduktionsabsichten hielten sich schon immer in Grenzen“, sagt sie. Lust auf Sex hat sie schon, und nur darauf. Sie sucht eine „dauerhafte Beziehung, die über das Bett läuft und große Gefühle ausspart.“ Und findet ihren coolen „Fickpartner“ Ferdinand. Von Candle-Light-Dinnern und romantischen Reden halten die beiden Workoholics nichts, an ihren gemeinsamen Wochenenden geht es dann auch immer gleich zur Sache. Vorher zieht Berit frische Bettwäsche auf, für sich selbst, wie sie betont, nicht für ihn.

Amadeus ist auch kein Mauerblümchen. Der Designer aus Berlin beginnt seine Rede mit der Aufzählung von Sachwerten: „Ich besitze 12 Maßanzüge, 2 Computer, 1 Auto, 17 Paar Schuhe und 248 CDs. … Bis heute habe ich mit 332 Frauen geschlafen. Morgen könnten es 333 sein.“ Amüsant zu lesen, wie es war, in der DDR an Tripper erkrankt zu sein. Da musste man beim Arzt, der „Zentralstelle G“, die Namen derer angeben, die als „Geschlechtspartner“ in Frage kämen. Henry aus Magdeburg hingegen will keine andere, für ihn ist Tatjana die „Traumfrau“, auch mit ihrem „Chaos“. Sie wohnt mit dem gemeinsamen Sohn zwei Etagen über ihm, weil es anders nicht geht.

Simone Schmollack ist es wichtig, zu zeigen, in welcher Art heute plurale Beziehungsformen gelebt werden. Sie tut gut daran, die Befragten erzählen zu lassen und nicht selbst zu kommentieren. So erlebt man die Selbstinszenierungen der Redner, die sich und ihre „Optionen“ meist in das gleißende Licht des Freigeistes rücken, ganz unverblümt.

JANA SITTNICK

Simone Schmollack: „Ich will Leidenschaft“. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2002, 400 Seiten, 12, 50 Euro. Eine Lesung gibt es heute am Samstag, 22.30 Uhr, im Roten Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte

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