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Beweglich bleiben im Krieg der Bilder

Von der Bilderverehrung zur Bilderstürmerei und zurück: Die Ausstellung „Iconoclash“ in Karlsruhe verfolgt ein hehres Ziel. An der Nahtstelle von Kunst, Religion und Politik soll die Deutungsmacht erschüttert und der Zuschauer befreit werden. Die Kampfansage gilt jeder Form von Bedeutungsfixierung

Vielleicht glaubt Peter Weibel ernsthaft, dass die Kunstgeschichte aufs ZKM zuläuft

von GEORG PATZER

Wie gehen wir mit den vielen Bildern im Alltag und im Kopf um, mit der Kunst, mit den Ikonen, mit dem, was wir sehen? Nicht nur Pädagogen und Bildungsbürokraten fragen sich das immer einmal wieder, denken über die Medienkompetenz ihrer Schüler nach, über Computerspiele und die Gewalt in den Nachrichten. Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) illustriert eine große Ausstellung mit 350 Objekten und einem dicken Katalog das Aufeinanderprallen von Bildern und Meinungen, von spitzhackigem Ikonoklasmus und anbetender Ikonophilie, von betrachtender Bilderliebe und künstlerischem Bildersturm. Der ZKM-Vorstand Peter Weibel hat selbst in künstlerischer Jugendzeit Bilder gestürmt und neue Bilder geschaffen; zu sehen ist, wie er als Hundeersatz an der Leine durch Wien geführt wird. Losgelassen leitet er seit ein paar Jahren das ZKM. „Iconoclash“ ist sein jüngstes und ambitioniertestes Projekt, zu dem er sich eine Riege von Kuratoren geholt hat, den Wissenschaftssoziologen Bruno Latour, den Wissenschaftshistoriker Peter Galison, die Kunsthistoriker Dario Gamboni und Joseph Leo Koerner, den Philosophen Boris Groys und den Ausstellungsmacher Hans-Ulrich Obrist.

Sie alle haben einen Teil des Katalogs und einen Teil der ZKM-Lichthöfe bekommen, um ihre Sicht auf den Krieg der Bilder zu illustrieren, auf dass man eine „Erschütterung der Macht spüren“ kann, wie es im „Krieg der Sterne“ heißt. Denn das ist das Ziel der Bilderkrieger, eine Erschütterung der Bildermacht, der Deutungsmacht, der Bilderschlachten. Sie wollen die Bilder und die Zuschauer befreien, eine neue Sicht kreieren jenseits von Ikonoklasmus und Ikonophilie, sozusagen den „Iconoclash“-Jedi-Ritter trainieren. Bruno Latour spielt dabei Obi-Wan Kenobi. Im Eröffnungsessay, der dieser Tage als kleines Buch im Merve Verlag (76 Seiten, 4 Euro) erschien, sagt er: „Ja, wir beanspruchen, vom Stamme der Propheten zu sein!“

Nach Latour besteht die maßgebliche Unterscheidung „zwischen dem angehaltenen Strom der Bilder und einer Kaskade von ihnen“. Und weil Latour „nicht eine von Bildern freie, sondern eine mit aktiven Bildern, beweglichen Mittlern angefüllte Welt“ will, rauschen jetzt im ZKM die unaufhörlichen Kaskaden wunderbarer Bilder und Objekte. Latour will aus dem Bilderkrieg aussteigen, nicht immer wieder ein Bild durch ein anderes ersetzen: „Die Bilderkrieger begehen immer den gleichen Fehler: Sie glauben naiv an naiven Glauben.“ Wie bei der zerstörten Pietà aus dem 15. Jahrhundert, Maria wurde enthauptet, Jesus wurden die Beine abgeschlagen. Dabei sei durch diese ikonoklastische oder -phobische Geste ein bereits gebrochenes Bild getroffen, nämlich das Bild vom gebrochenen Christus. „Was bedeutet es, ein gekreuzigtes Bild zu kreuzigen?“ Selbst wenn es in einem religiösen Akt zerstört worden sei, um vom Bild auf das Urbild zu lenken: „Es gibt kein Urbild, das sich anschauen ließe“, sagt Latour.

Erst mit der Beweglichkeit könne die Schlacht zwischen Ikonophobie und Ikonophilie, Bilderstürmern und Bilderversessenen beendet werden. Hier bekommt die Ausstellung einen eindeutig museumspädagogischen Touch, der auch aus den Spruchbändern von der Decke wedelt: „Warum machen Bilder so viel Ärger?“ – „Warum sind Bilder derart zweideutig?“ – „Können die Götter miteinander auskommen?“ Und die beliebten Beschimpfungen: „Atheisten!“, „Vandalen!“, „Kritiker!“

Am deutlichsten ist die Bilderzerstörung und Bilderverehrung in der Politik, von der Berliner Mauer über die Bastille und Lenin werden die Ikonen im ZKM zitiert. Während ein Bildhauer einen Hitlerkopf flink in eine Adenauerbüste umhämmerte, wurde anderes ins Museum verfrachtet und selbst zur Ikone, Steine von der Mauer, Andenken von der Bastille. Selbst im Mittelalter wurde zerstört, die Protestanten zerschlugen die Bilder, manche Gläubige küssten ihr Heiligenbild so lange, bis es weggeküsst war. Und während die Taliban das Bilderverbot einerseits streng beherzigten, verübten sie ihr bisher spektakulärstes Verbrechen zur besten Sendezeit aller westlichen Fernsehsender und drehen immer mal wieder Videos von ihrem Heiligen Bin Laden.

Auch die moderne Kunst hat mit den Bildschwierigkeiten zu kämpfen. Der Tief- und Höhepunkt ist Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ von 1923, das ganz prominent die Ausstellung eröffnet. Man schreitet im ZKM über die Eingangstreppe auf dieses Schwarze Loch zu, das den Anfangspunkt des Endes markiert: „Das ist das Ende der Malerei“, hat er gesagt. War es natürlich nicht, die Malerei hört nie auf, sie hörte nur auf, die mimetische Funktion zu erfüllen, die hatte längst die Fotografie übernommen, die viel genauere und schnellere Abbilder der Außenwelt lieferte. Gleichzeitig hält das Material Einzug in die Kunst mit Duchamps Ready-mades. Sein nachgebautes Pissoir zeigt im ZKM den zweiten Weg der Kunst, die Realität denn doch noch mal wieder einzufangen und durch intellektuelle Tricks zur Kunst zu erklären, zu einer anderen Kunst allerdings.

Der Weg im ZKM führt ganz konsequent von diesen beiden Endpunkten zu den nächsten immer wieder neuen Endpunkten, zu Arnulf Rainers Übermalungen, Imre Knoebels Keilrahmen und Beuys’ Diktum: „Hiermit trete ich aus der Kunst aus.“ Nach dem Pissoir als Kunst kommen konsequenterweise Besen und Müll als Kunst und Lexika mit Kunstumschlag. Der Weg führt zu den Schlitzern und (Auto-)Destruktiven, die erst die Leinwände (L. Fontana), dann sich selbst aufritzen (G. Brus) und das Dahinterliegende sichtbar machen. Oder dann das Innere selbst, den Urin und das Defäkierte „la merda d’artista“, von P. Manzoni) ausstellen. Das soll dann noch Kunst sein? Diese Frage stellen viele, reinigen Beuys’ Fettecke weg oder schreiben empört an die Skulptur: „560.000,- für diese Scheiße?“ Eine schöne Sammlung. Aber so materialreich die Ausstellung ist, so eindimensional geht sie mit manchem um, lässt Pop-Art und Surrealismus ganz weg, benutzt anderes als reine Illustration ihrer These wie Rauschenberg, der Bilder von de Kooning ausradiert hat. Ikonoklasmus? Etwas komplexer ist es in der Kunstgeschichte denn doch zugegangen. Aber vielleicht passte es einfach nicht zur Theorie?

Überhaupt ist sie nicht so neu, wie Weibel und seine Krieger uns glauben machen wollen. Der Versuch, „wie der ikonoklastischen Geste Einhalt geboten und wie die Beweglichkeit der Bilder gegen jeden Versuch ihrer Fixierung gerettet werden kann“, ist älter als Malewitsch und eben nicht eine neue „Bildwissenschaft“. In jeder Ausstellung steht doch der Betrachter vor oder in der Kunst und fragt sich, lässt sich anregen, lässt sich vielleicht erschüttern. Und jedes moderne Kunstwerk, bis auf die politischen Hardliner, hat diese Lesart immer auch mit vorgeschlagen. Aber das hat wohl den Theoretikern des ZKM nicht genügt. Mehr Theorie sollte es sein. Dummerweise verläppert bei Latour der lange Essay bis zum Schlusssatz: „Ich möchte eine vorsichtigere Lesart vorschlagen: Du sollst dir kein erstarrtes Bildnis machen.“ Das ist denn doch etwas dünn.

Zudem halten sich auch die Kuratoren nicht an dieses Motto. Die Bilder nämlich müssen gedeutet werden, sie müssen in die Theorie passen und bekamen bei der Führung durch die Kuratoren in kurzen Sätzen genau die Interpretation, die für die Ausstellung passte, statt sie genau so offen zu lassen, wie sie nach dem Willen von Bruno Latour sein sollen. Ihre „Pause in der Kritik“, wie er formulierte, werden sie so nicht bekommen können.

Auch die Interferenzen von Kunst, Wissenschaft und Religion, die ebenso mal für und mal gegen Bilder sind, um die Wirklichkeit zu erklären, funktioniert nicht; viel zu sehr in eine Randnische gedrängt scheinen die allerdings manchmal bildmächtigen Bilder. Interessant sind immerhin die Konflikte in Mathematik und Physik. So wollte Niels Bohr in der reinen Mathematik keine Zeichnungen zulassen, und Erwin Schrödinger bewies durch ein Bild, dass ein Teilchen auch als Welle zu verstehen ist. So konnte er erklären, dass ein Teilchen eine Barriere durchdringen kann, was nach der klassischen Physik bisher unmöglich war. Physikalisch war das nicht korrekt, aber das Bild korrigierte das Denken, das Denken veränderte dann das Bild. Das ist für die meisten Kunstbesucher wohl neu, wer hat schon mal eine Diffusions-Nebelkammer gesehen? Schön nebelt sie vor sich hin.

Der Ansatzpunkt, die Frage, was (naturwissenschaftlich oder künstlerisch) Wahrheit ist, welche Auswirkungen die Nebel- und Sternenbilder für die Kunst, für die Bilder in unserem Kopf haben, wird nicht beantwortet, eine Auswirkung auf die gesamte Ausstellung hat diese essayistische Enklave nicht. Setzt Weibel ernsthaft, wie er selbst gesagt hat, auf die ästhetische Schönheit der ausgestellten Computerbilder? Vielleicht glaubt er ja wirklich, dass die gesamte Kunstgeschichte gradlinig auf das ZKM zuläuft. Schließlich zeigte er ja in manchen Ausstellungen, was man mit Technik alles machen kann, auch wenn es nicht immer viel Inhalt gibt. Er selbst bastelt immer noch ganz handwerklich mit Metall, auch das ist im ZKM zu sehen.

Und die religiösen Bilder wiederum, schön in Nischen gesteckt wie ein meditativer Austritt aus der lauten, bunten Kaskadenwelt, taugen vor allem dazu, im ZKM die „Archäologie von Hass und Fanatismus“ zu zeigen. Und das ist dann auch wieder der Teil der Ausstellung, der gelungen und anregend ist, jenseits der schönen pädagogischen und noch recht unausgegorenen Theorien. Und so hat die Ausstellung ihr Ziel dann vielleicht doch noch erreicht.

Bis zum 4. August, Katalog (MIT Press) 35 €; morgen, am 23. 6., spricht der japanische Stararchitekt Arata Isozaki um 14 Uhr im ZKM über die für „Iconoclash“ rekonstruierte Installation „Electric Labyrinth“. Auch morgen, um 16 Uhr, liest der amerikanische Schriftsteller Richard Powers, der den Ausstellungstitel anregte, aus seinem aktuellen Roman „Plowing the Dark“.

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