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Schlagabtausch unter Brüdern

Russland und Weißrussland streiten um die Ausgestaltung ihrer gemeinsamen Union

BERLIN taz ■ Fast eine Woche brauchte Weißrusslands Staatspräsident Alexander Lukaschenko, um eine passende Antwort an die Adresse seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin zu formulieren. „Uns zu Schmarotzern zu erklären ist eine Beleidigung für das weißrussische Volk“, sagte er im Staatsfernsehen. Minsk werde sich keinesfalls mit dem Status eines 90. Subjekts der russischen Föderation zufriedengeben. Auch habe Weißrussland nie die Absicht gehabt, die Sowjetunion wiederauferstehen zu lassen.

Lukaschenko reagierte damit auf Äußerungen Putins von Mitte vergangener Woche bei einer Veranstaltung mit Medizinern und nur zwei Tage nach einem Treffen der beiden Staatschefs zum Thema einer Ausgestaltung der Union in St. Petersburg. Putin hatte sich in aller Schärfe gegen das Ansinnen Minsks verwahrt, die russisch-weißrussische Union nach dem Vorbild der Sowjetunion zu gestalten. Den Vorschlag der weißrussischen Seite, in einem verfassungsähnlichen Dokument zwischenstaatliche Institutionen festzuschreiben, bezeichnete Putin in diesem Zusammenhang als „rechtlich unsinnig“. Besonders kritisierte der russische Präsident den Anspruch Lukaschenkos auf ein Vetorecht. Schließlich mache die Wirtschaft Weißrussland nur drei Prozent derjenigen Russlands aus. Russland, so Putin, werde sich keinem Projekt hingeben, das seinen nationalen und wirtschaftlichen Interessen zuwiderlaufe. Abschließend beschied er kurz und knapp: „Unsere Partner müssen sich erst einmal darüber klar werden, was sie wirklich wollen.“

Zumindest Lukaschenko schien das bislang zu wissen. Im Mai 1997 hatten er und der damalige russische Präsident Boris Jelzin die Union im Kreml besiegelt. In Moskau mutmaßten schon damals Kritiker, Sowjet-Nostalgiker Lukaschenko wolle sich ein Entree in den Kreml verschaffen. Als Schreckensszenario galt eine rotierende Unionspräsidentschaft, die Lukaschenko, der sich sein Mandat 1996 in einem fragwürdigen Referendum um zwei Jahre verlängert hatte, ins Moskauer Machtzentrum katapultiert hätte.

Doch von den hochtrabenden Plänen ist, trotz mehrerer Nachfolgeverträge, nicht viel übrig geblieben. Die politische Union ist faktisch inexistent, das gemeinsame Parlament hat keinerlei Befugnisse und wird von den nationalen Volksvertretungen ignoriert. Lediglich die wirtschaftliche Integration hat einige Fortschritt gemacht, wie die Abschaffung von Grenz- und Zollkontrollen, besondere russische Konditionen bei Öl- und Gaslieferungen und die Vorbereitung einer Währungsunion.

Zumindest weißrussische Oppositionelle quittierten Putins Rüffel mit Schadenfreude. „Lukaschenko hat Russlands Hilfe immer nach demselben Muster ausgenutzt: Russisches Öl für weißrussische Küsse“, sagt der Chef der Sozialdemokraten, Mikolai Statkewitsch. „Doch jetzt ist Lukaschenkos Wirtschaftsbluff zu Ende.“ BARBARA OERTEL

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