Auszug – nur wohin?

Das AWO-Flüchtlingswohnheim an der Bogenstraße wird geschlossen: Einige der BewohnerInnen wissen das erst seit kurzem / Ob sie nach Vegesack oder Mahndorf müssen, ist auch noch unklar

Am letzten Schultag weinten Alis Kinder. Nach den Ferien kehren sie nicht zurück

„Wir wissen seit ungefähr zwei Wochen, dass wir ausziehen müssen. Wohin wir gehen, wissen wir nicht“, sagt die Russin Tatjana (alle Namen von der Red. geändert). Die Mutter von zwei Kindern lebt in der Bogenstraße 42 in Walle. Dort unterhält die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ein Flüchtlingswohnheim, das aus zwei grün gestrichenen Holzbaracken besteht. Die sehen aus, als wären sie mindestens dreißig Jahre alt.

Jetzt soll die Unterkunft bis Ende September „abgewickelt“ werden, erklärt Edith König von den Bremer Beratungs- und Betreuungsdiensten, die sich im Auftrag des Sozialressorts um die Heime kümmern. Die Heimleiterin Hofmeister sagt: „Wenn dieses Haus nicht abgerissen würde, müsste sehr viel investiert werden. Die Bewohner werden sich mit einem Umzug auf jeden Fall verbessern.“ Zwar ist niemand böse um den Abriss der Baracken. Der Zustand der Unterkunft ist dennoch nicht der Auslöser dafür. Das Wohnheim soll nämlich dem Lärmschutz für das Waller Wied vor dem Großmarkt weichen.

Obwohl es amtlicherseits heißt, dass die Asylsuchenden schon seit rund vier Monaten über ihren Auszug informiert sein sollten, wissen die BewohnerInnen zum Teil erst seit 14 Tagen, dass sie sich in spätestens acht Wochen „verbessern“ werden. Nur wo, das wissen viele noch nicht.

Die Russin Tatjana teilt sich mit ihrem Sohn ein Zimmer von 14 Quadratmetern. Es ist eng dort mit zwei Betten, Schrank, Tisch und Waschecke. Der Raum liegt an einem neonbeleuchteten Gang. Der PVC-Boden ist abgewetzt. Der Versuch, mit gemalten Ballons an der Wand etwas Farbe in die grau-grünen Gänge zu bringen, will nicht richtig gelingen. Tatjana sorgt sich um den Umzug: „Hoffentlich müssen wir nicht nach Vegesack. Mein Sohn geht hier zur Berufsschule. Dann muss er immer um fünf Uhr aufstehen.“ Ob Tatjana mit einer Freundin aus dem Heim zusammen umziehen kann, steht in den Sternen.

Die siebenköpfige syrische Familie L. soll in ein bis zwei Wochen nach Mahndorf ziehen. „Wir bemühen uns, dass gerade die Familien mit schulpflichtigen Kindern in den Sommerferien umziehen können“, sagt die Heimleiterin. Erhard Heintze, im Sozialressort zuständig für Zuwandererangelegenheiten und Integrationspolitik, berichtet, dass von den vier Familien in Walle bisher für drei wieder eine Unterkunft gefunden sei. Eine davon sind die L.s. Vater Ali sagt: „Wir würden gerne in Walle bleiben. Die Kinder gehen hier zur Schule. Heute, am letzten Schultag, haben alle geweint, weil die Kinder nach den Ferien nicht wieder kommen.“ Der Mann wirkt schicksalsergeben. „Wir haben keine Wahl.“

Auch Ephrem und Tatian, zwei junge Männer aus Syrien, die sich in der Bogenstraße ein Zimmer teilen, wissen noch nicht wohin. Tatian, der schon seit drei Jahren dort lebt, darf sich jetzt eine Wohnung suchen, hat aber noch keine gefunden, obwohl der Bremer Wohnungsmarkt als entspannt gilt. Ephrem möchte auch gerne privat wohnen, lebt aber laut Asylbewerberleistungsgesetz noch nicht lange genug in der Gemeinschaftsunterkunft. Er hat sich auch schon in anderen Heimen umgesehen. „Wenn man selbst einen Platz findet, wo man hin möchte, dann geht das auch. Aber hier in der Nähe gibt es nichts“, sagt er.

Die grüne Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert plädiert dafür, das Asylbewerberleistungsgesetz so weit wie möglich zu interpretieren, damit möglichst viele Asylsuchende bald in private Wohnungen ziehen können, zumal die Unterbringung in Wohnheimen teurer sei. Die Kostenfrage bestätigt Erhard Heintze aus dem Sozialressort: „Gemeinschaftsunterkünfte sind teurer, aber vom Gesetz gewollt.“

Zweifellos ist der kurzfristige Umzug mit unbekanntem Ziel für die Menschen in der Bogenstraße nicht das größte Problem, das sie haben. Mehr Sorgen macht ihnen der Ausgang ihrer laufenden Asylverfahren. Aber leichter wird der Aufenthalt dadurch in Deutschland auch nicht. Ulrike Bendrat