: Keine Frauen im Stadion
Afghanische Fußballfans lässt die WM auch vor der Großleinwand in Kabul kalt, deutsche Soldaten halten sich für Experten, und bei der UNO trauern Anhänger des US-Teams über die Niederlage
aus Kabul SVEN HANSEN
An den meisten Afghanen geht das weltweite Fußballfieber dieser Tage spurlos vorüber. Schließlich gibt es in dem kriegszerstörten Land so gut wie keine Möglichkeit, die WM zu verfolgen. Um aber wenigstens einige Menschen in Kabul an den Spielen teilhaben zu lassen, spendete die Fifa 30.000 Dollar für einen Videobeamer. Seitdem wird, sofern es Strom gibt, jeden Abend im Kabuler Stadion ein zuvor aufgezeichnetes Spiel aus Japan oder Korea auf eine Großleinwand übertragen. „Ich habe davon im Radio gehört“, sagt der junge Achmad, der selbst beim Club Jahesch im Süden Kabuls als Verteidiger spielt. Er ist heute Abend das erste Mal hier.
Auf dem buckeligen Rasen im Stadion machen es sich rund 500 Zuschauer auf Plastikstühlen bequem. Sie hoffen, dass es bald dunkel wird, damit sie die unscharfen Bilder auf der im Wind flatternden Leinwand besser erkennen können. Auf einer hinteren Tribüne sitzen weitere 300 Männer auf dem blanken Beton, um das Spiel Brasilien gegen England anzuschauen. Die Fifa hatte eigentlich mit 10.000 Zuschauern täglich gerechnet und sogar extra einen Bereich für Frauen eingerichtet. Doch in das Stadion, in dem die Taliban einst vor Spielen Exekutionen und Amputationen durchführten, verirrt sich an diesem Abend keine afghanische Frau.
Schon vor dem Spiel schlichten Polizisten, die mit den Kolben ihrer Kalaschnikows auf die Menschen einschlagen, auf ihre Art einen Streit. Zwei Jugendliche werden abgeführt. Danach verfolgt die Menge mit stoischer Gelassenheit das temporeiche Spiel in einer Aufzeichnung aus dem türkischen Fernsehen. Als die Briten in Führung gehen, gibt es keinen Jubel. Die Engländer, die einst Afghanistan zu kolonisieren versuchten, sind offenbar nicht beliebt. „Ich mag die koreanische Mannschaft am liebsten“, sagt der Medizinstudent Jawid. „Sie haben gute Spieler, und sie sind Asiaten.“
Während des Spiels laufen kleine Jungen durch die Sitzreihen und bieten aus dreckigen Kanistern Wasser zum Trinken in Blechdosen an. Inzwischen steht der Mond über der Leinwand, und die Hitze des Tages weicht lauer Luft. Als Brasilian ausgleicht, gibt es verhaltenen Beifall. Jawid schwärmt in der Halbzeitpause von Oliver Kahn. „Der ist sehr gut“, sagt er. „Den kenne ich aus dem Iran. Da habe ich ihn im Fernsehen gesehen.“
Der Jubel wird stärker, als Brasilien in Führung geht. Doch schon stehen viele Zuschauer auf und verlassen das Stadion. „Das ist der Endstand, den habe ich schon im Radio gehört, und wenn ich jetzt nicht gehe, komme ich kaum noch nach Hause“, sagt Jawid. Die britischen und brasilianischen Fans, die im Stadion von Shizuoka lautstark ihre Mannschaften anfeuern, wirken im Vergleich zu den ruhigen Zuschauern im Stadion von Kabul wie von einem anderen Stern. Halbnackte, Samba tanzende Brasilianerinnen stoßen hier auf ungläubiges Staunen. Kurz nach neun ist die Übertragung zu Ende, die Zuschauer verlassen schnell das Stadion. „Es kommen nicht mehr, weil es um diese Zeit kaum noch Taxis und Busse gibt“, sagt ein Mitarbeiter des Stadions. Zwar beginnt die Ausgangssperre inzwischen erst um 23 Uhr, aber bereits zwei Stunden vorher sind die Straßen leer.
Live können die WM-Spiele in der so genannten „Dropzone K“, wie die Kneipe auf dem Gelände des zur Friedenstruppe gehörenden Bundeswehrkontingents heißt, verfolgt werden. Hier stoßen die Spiele der deutschen Mannschaft auf besonderes Interesse. Gespannt verfolgen breitbeinig dasitzende Fallschirmjäger mit dem Gewehr neben sich und der Dose Red Bull in der Hand die Aktionen der deutschen Elf. „Da ist im Mittelfeild keine Sau“, wird gefachsimpelt, oder plötzlich gebrüllt: „Mensch, schieß doch!“ Geht der Schuss daneben, werden die Hände vor den Kopf geschlagen. Doch beim 1:0 gegen Paraguay springen alle auf und reißen jubelnd die Arme nach oben. Nach dem Spiel, in der Warteschlange vor der Marketenderei – wo es Shampoo, Gummibärchen und Bier aus Deutschland zu kaufen gibt –, gehen zwei Soldaten mit der deutschen Mannschaft ins Gericht. „Das war ein Kackspiel“, sagt der eine. „Stimmt“, bestätigt der andere, „wer ist schon Paraguay?“
Das Match USA gegen Deutschland beschäftigt sogar Diplomaten der UNO und ihrer Hilfsorganisationen an ihrem freien Tag. Hinter den hohen Mauern des UNO-Gästehauses versammeln sie sich auf dem feudalen Gelände mit Shorts und Bierdosen vor einem im Garten aufgebauten Fernseher. Die lautstarke Mehrheit entpuppt sich als Anhänger des US-Teams und behandelt Deutsche als gerade mal geduldete Minderheit. „Come on, let’s play!, ruft ein amerikanischer UN-Mitarbeiter mit Baseballkappe den US-Kickern zu. Das schleche Spiel und der deutsche Sieg werden nicht goutiert. Anschließend geht es zur Abkühlung in den Swimmingpool, dem wohl einzigen mit Wasser gefüllten Schwimmbecken im trockenen Kabul.
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