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In Belfast werden die Mauern höher

In Arbeitervierteln der nordirischen Hauptstadt, wo protestantische und katholische Wohnstraßen aufeinander treffen, eskaliert Gewalt zwischen paramilitärischen Gruppen. Das belastet den Fortbestand des Nordirland-Friedensprozesses

aus Belfast RALF SOTSCHECK

Wer möchte hier schon wohnen? Die Gegend ist heruntergekommen, vor den kleinen roten Backsteinhäusern ohne Vorgärten liegen Pflastersteine und Glasscherben, die von den Kämpfen der vergangenen Nacht übrig geblieben sind. Seit Anfang des Monats kommt es in Short Strand in der nordirischen Haupstadt Belfast fast jede Nacht zu Zusammenstößen, denn das kleine Viertel mit 3.000 Einwohnern ist eine katholische Enklave im protestantischen Ost-Belfast. Short Strand enthält wiederum am Südende eine noch kleinere Enklave: Cluan Place, eine Wohnsiedlung mit 100 Protestanten.

Beide Seiten fühlen sich im Belagerungszustand. Die britische Armee hat die „Friedenslinie“, wie die Mauer zwischen den katholischen und protestantischen Häusern beschönigend heißt, auf fast vier Meter erhöht, sodass man keine Wurfgeschosse mehr hinüberwerfen kann. Aber es nützt nur wenig, denn die Verbindungsstraßen müssen ja offen bleiben, und dort fliegen jede Nacht Steine, Flaschen, Nagelbomben und Gewehrkugeln. Es ist ein Territorialkrieg, wie er an den Brennpunkten, wo katholische und protestantische Arbeiterviertel in Nordirland aneinander stoßen, in den vergangenen 30 Jahren oft ausgefochten wurde.

In Short Strand brach die Gewalt zum ersten Mal 1972 aus. Damals kamen eine Reihe von Menschen ums Leben, und seitdem ist die Gegend eigentlich nie mehr zur Ruhe gekommen. Inzwischen sterben zwar nicht mehr so viele Menschen eines gewaltsamen Todes wie Mitte der Siebzigerjahre, doch die Straßenschlachten werden unerbittlicher als damals ausgetragen. So erzählt eine Dozentin der Belfaster Hochschule, wie maskierte und bewaffnete Männer in die Außenstelle der Hochschule in Ost-Belfast eingedrungen seien und nach Studenten aus Short Strand suchten. Die Studenten konnten sich in einen Vorlesungssaal einschließen.

Joe O’Donnell, der für Short Strand zuständige Stadtrat von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, macht protestantische paramilitärische Organisationen für die Zusammenstöße verantwortlich. Sie seien aus anderen Teilen Belfasts angerückt, weil sie in Cluan Place ihre Stärke demonstrieren wollen, glaubt O’Donnell. „Ich glaube nicht mal, dass sie die Gegend stürmen wollen“, sagt er, „sie wollen nur so viel Schaden wie möglich anrichten.“ 150 Häuser in Short Strand sind seit Anfang des Monats beschädigt worden, viele Einwohner sind weggezogen, andere haben ihre Kinder bei Verwandten in sicheren Vierteln untergebracht.

Nordirlands Premierminister, der Friedensnobelpreisträger David Trimble, gibt dagegen der IRA die Schuld. „Die Krawalle werden von der IRA organisiert“, sagte er. Wegen der zunehmenden Gewalt und dem anhängigen Verfahren gegen drei Sinn-Féin-Mitglieder in Kolumbien, die der Guerilla-Organisation Farc das Bombenbauen beigebracht haben sollen, verlangt Trimbles Partei UUP, dass Sinn Féin aus der nordirischen Mehrparteienregierung, die nach dem Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 gebildet wurde, hinausgeworfen werden soll.

Viele UUP-Parteimitglieder sind grundsätzlich gegen das Abkommen, dem Trimble seinen Posten als nordirischer Premier verdankt. Am Sonntag vor einer Woche mussten die Abkommensgegner eine Abstimmungsniederlage hinnehmen, als sie vergeblich versuchten, Trimble zum Rücktritt zu verpflichten, falls Sinn Féin bis zum 1. Juli nicht aus der Regierung entfernt werde. Nun drohen sie, für den 6. Juli eine Sondersitzung des Parteirates einzuberufen, auf der das Thema erneut zur Sprache kommen soll.

Der Juli ist ohnehin der ungemütlichste Monat in Nordirland, denn es ist der Höhepunkt der protestantischen Marschsaison. 3.000 Paraden finden jedes Jahr in der Krisenprovinz statt, die meisten davon im Juli. Einige der Paraden, die vom protestantischen Oranier-Orden veranstaltet werden, führen durch katholische Viertel. Es seien die traditionellen Strecken, sagten die Oranier, denn früher hätten dort Protestanten gewohnt, bevor der katholische Bevölkerungsanteil gestiegen sei.

Es sind diese demographischen Veränderungen, die den Protestanten Angst machen, weil sie schon in zehn oder zwanzig Jahren zur Minderheit in Nordirland werden könnten, das sie als ihr Eigentum ansehen. Ein weiteres Indiz für das abnehmende Gewicht der Protestanten war die Wahl von Alex Maskey zum Belfaster Bürgermeister Anfang des Monats. Es ist das erste Mal, dass ein Sinn-Féin-Mann im Belfaster Rathaus das Sagen hat.

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