Bayern knapp versetzt

Bis auf Bayern haben es die Bundesländer zu Pisa-Gewinnern wie etwa Kanada sehr weit

„Der deutsche Bildungsföderalismus hat offenkundig versagt“

von CHRISTIAN FÜLLER

Klar, jedes Bundesland möchte seine Schüler ganz oben sehen. Und wenn es nur einmal ist. Seit Samstag liegen alle Details des lange erwarteten nationalen Pisa-Tests vor – nun fahnden die jeweiligen Kultusminister fieberhaft in den Länderranglisten nach möglichen Spitzenplätzen ihrer Eleven. Schleswig-Holsteins Schulministerin Uta Erdsieck-Rave (SPD) ist bei den Gymnasien fündig geworden; da sind ihre Schützlinge Tabellenführer bei den naturwissenschaftlichen Leistungen der Neuntklässler. Auch Klaus Böger (SPD) ist glücklich, weil Berlin wenigstens bei einem „Ranking der leistungsfähigsten Schüler in Gymnasien“ bundesweit auf Platz zwei landet.

Und selbst Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) aus Brandenburg hat einen Spitzenplatz entdeckt: Die Leistungsunterschiede zwischen besonders guten und besonders schlechten Schülern ist in seinem Land geringer als überall sonst in der Republik. Der Grund für die märkische Leistungshomogenität ist allerdings ziemlich bitter: Brandenburgs 15-Jährige stehen so weit unten, dass gar kein Spielraum mehr für Differenzen besteht. International kommen hinter Brandenburg nur noch Pisa-Loser wie Mexiko.

Das Stichwort „Mexiko“ war es denn auch, das trotz aller kleinstaaterischen Eitelkeit bei den Deutschen so etwas wie einen zweiten Pisa-Schock ausgelöst hat. Zwar ist Bayern fast überall Spitze. Aber zwischen Bayern und den Schlusslichtern liegen Welten. Die 15-Jährigen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bremen zum Beispiel sind rund eineinhalb Lernjahre hinter Bayern zurück. Das hat die SprecherInnen von Lehrern und Eltern geradezu wütend gemacht.

„Der Föderalismus hat offenkundig in Sachen Bildung und bei der Herstellung von Chancengleichheit versagt“, sagte die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Eva Maria Stange. Bundeselternsprecherin Barbara Hendricks empfahl Eltern sogar den Gang nach Karlsruhe. Das Grundgesetz trage dem Bund auf, für vergleichbare Lebensverhältnisse zu sorgen. Wenn er das nicht tue, sagte Hendricks, müsse man sie halt einklagen.

Der Bund nimmt diesen Hinweis dankbar auf. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) verlangt eine „nationale Kraftanstrengung“, um Deutschlands Schulen zu verbessern. In einem ersten Schritt bietet sie den Ländern an, vier Milliarden Euro in den Ausbau von Ganztagsschulen zu investieren. Weil die unionsregierten Länder das aber als ein unsittliches Angebot betrachten, wird das groteske Wahlkampfgetöse um die Schulen nur noch verstärkt. Diverse Kultusminister greifen, wie Nordrhein-Westfalens Gaby Behler (SPD), selbst mittlere Plätze heraus, um das insgesamt miserable Pisa-Ergebnis in einen Erfolg umzudeuten. Die Opposition, in diesem Falle Jürgen Rüttgers (CDU), tobt sofort gegen 30 Jahre SPD-Regierung. Seit Samstag kennen Bildungspolitiker keine Schulen mehr, sondern nur noch Parteien.

Die unerklärte Pisa-Gesamtsiegerin, Bayerns Schulministerin Monika Hohlmeier (CSU), etwa giftete, es sei peinlich, wie Bildungsministerin Bulmahn die bayerische Schulpolitik mies mache. Bulmahn hatte an der niedrigen Abiturquote von knapp 20 Prozent in Bayern herumgekrittelt. Hohlmeier konterte, das Kennzeichen der SPD-Bildungspolitik sei es, durch hohe Abiturquoten das Niveau zu senken.

Interessanterweise ist das, wenn man den 253 Seiten langen nationalen Pisa-Bericht studiert, gar nicht der Punkt. Zwar geistert die These herum, Bayerns rigides Auslesesystem sei Ursache für gute Pisa-Ergebnisse; die vielen Spitzenplätze bayerischer 15-Jähriger scheinen das nahe zu legen. Das gilt aber nur beim oberflächlichen Starren auf die Rankings.

Der Guru der deutschen Pisa-Forscher, Jürgen Baumert, freilich widerspricht. „Die sehr guten Mathematikergebnisse in den Ländern Bayern und Schleswig-Holstein sind nicht oder nur zum geringsten Teil auf die Selektivität der dortigen Gymnasien zurückzuführen“, schreibt er, nachdem er eine Reihe von Hintergrundanalysen durchführte. Dabei hat der Chef des Berliner Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung auch das herausgefunden: Obwohl in Berlin weit über 30 Prozent der Schüler das Abitur ablegen, gebe es dort „erwartungswidrig“ gute Ergebnisse: in Mathematik und bei den Topgymnasiasten.

Bayern wie andere Bundesländer müsste etwas anderes nervös machen: Zu den internationalen Pisa-Gewinnern ist es noch weit. Kanada, das ebenfalls einen nationalen Pisavergleich hinter sich hat, liegt mit allen Provinzen über dem OECD-Durchschnitt von 500 Punkten – und weit vor den Bundesländern (siehe Grafik unten). Nur Bayern kommt mit 510 Punkten heran – überholt aber lediglich die schlechteste kanadische Region New Brunswick (501 Punkte). Und das, obwohl es in Kanada nur Gesamtschulen gibt.

Das Problem der deutschen Bundesländer nach Pisa ist: Sie wissen nun, dass ihre Schulen alles andere als toll sind. Aber sie haben nur eine Ahnung, woran das liegen könnte.