Universell ist besser

Beobachten ist auf den ersten Blick auch Selbstbeobachtung: Der Fotograf und Senatsstipendiat Arwed Messmer zeigt neue Arbeiten in der Galerie Kunstbank

In seinen früheren Stadtserien hat sich der Fotograf Arwed Messmer hauptsächlich auf die Architektur konzentriert. Doch nun tauchen in sechs Arbeiten auch Mensch und Tier vor Kulissen großstädtischer Ensembles auf. Mit Messmers Fotografien von relativer Zeit- und Ortlosigkeit beschließt die Kunstbank, die Galerie der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, den Ausstellungsreigen der im letzten Jahr geförderten Kunststipendiaten.

Messmer erzählt nur scheinbar stringente Geschichten, auf den zweiten Blick betreibt er ein hintergründiges Spiel mit dem Betrachter. Denn die Bilder in Bildern eröffnen viel Assoziationsspielraum, im wahrsten Sinne des Wortes: Auf einem riesigen Spielfeld sind im Hintergrund fünfzehn Tore zu sehen, die zum Teil hintereinander angeordnet sind. Werden hier Fußballer trainiert? Oder doch nur Wäscheleinen gespannt? Im Vordergrund pflanzen ein Mann und eine Frau kleine Eichenbäume. Die Anordnung der Pflanzlöcher lässt darauf schließen, dass eines Tages ein dichter Streifen von Bäumen das grüne Grasland umschließen wird. So, wie man es auf der anderen Bildseite schon erkennen kann.

Doch Messmer hat zudem noch eine weitere Zeitebene eingebaut. Hinter den beiden Baumpflanzern hocken in der mittleren Bildebene drei Menschen. Frau und Kind scheinen soeben ein Bäumchen einzugraben. Ein Fotograf hält den Akt fürs Familienalbum oder die Lokalzeitung fest. Und wir betrachten den Betrachter dabei.

Mit solchen Inszenierungen rückt Arwed Messmer die Relativität des Beobachters in den Mittelpunkt. Von wirklichen und scheinbaren Zuschauern wimmelt es auch in den anderen Arbeiten des 38-Jährigen, der in Dortmund visuelle Kommunikation studierte. Die asiatischen Fußballspieler blicken unisono in Richtung Kamera, deren Position mit dem Standpunkt des Torwarts übereinstimmen könnte. Der rollende Ball jedenfalls bewegt sich genau in die Richtung der künstlerisch beabsichtigten Dreifaltigkeit von Tor, Fotograf und Betrachter. Wie ein Voyeur fühlt man sich vor dem Bild, das ältere Damen in einem Park bei Regenwetter spazierend zeigt. Sie wähnen sich unbeobachtet. Vielleicht tun sie aber nur so – aus Höflichkeit. Denn es dürfte sich um Japanerinnen handeln. Obwohl ihnen der Fotograf sozusagen auf den Leib gerückt sein muss, blickt die eine nach oben in die Luft, die andere auf den Boden. Nur eine Frau schaut verstohlenen Blickes in Richtung Kamera – und damit zum Betrachter. Das kann kein Zufall sein. Oder doch?

Das Bild hat Messmer in Tokio aufgenommen. Aber das ist ihm nicht wichtig, so eine Aufnahme könnte in aller Welt entstehen. Wohl deshalb tragen die Fotografien aus London und Chicago keine Titel. Ort- und zeitlos, wirken sie wie Inszenierungen eines beiläufigen, unspektakulären Momentes. Von Bedeutung sind allein die Handlungsabläufe. Die urbane Landschaft fungiert nur noch als Kulisse. Was zählt, ist der universelle Mensch – als Betrachter seiner selbst.

ANDREAS HERGETH

Bis 5 Juli, Mo–Fr 14–18 Uhr, Kunstbank, Brunnenstraße 188–190, Mitte