: „Darum streiken wir ja“
Erfolgreiche Streikblockaden legen Berliner Baustellen lahm. Ein Bauleiter am Domaquarée fürchtet nun, dass seine Tagelöhner zu anderen Baustellen abwandern. Das wiederum freut die Gewerkschaft
von FELIX LEE
Mit gequältem Lächeln zieht der Bauunternehmer an den pfeifenden Bauarbeitern vorbei. Zumindest für die Frühschicht muss er sich geschlagen geben. „Wir sehen uns wieder“, brüllt er der johlenden Menge zu, steigt in seinen BMW und fährt weg.
So wie er auf der Baustelle Domaquarée in Mitte haben zahlreiche Bauunternehmer versucht, den Streik der Bauarbeiter zu brechen. Fast alle ohne Erfolg. Denn meistens waren die Gewerkschafter der IG-BAU früher auf den Beinen als die Arbeitswilligen und deren Chefs. „An allen Baustelleneinfahrten stehen Streikposten“, schildert Torsten Müller, Mitglied der IG-BAU-Landeszentrale, die Strategie. Und da meist Arbeiter von anderen Baustellen eingesetzt werden, würden auch Einschüchterungsversuche der Arbeitgeber nicht ziehen. Lahm gelegt werden meistens prestigeträchtige Großbaustellen. „Der bisherige Arbeitskampf hat unsere Erwartungen weit übertroffen“, freut sich Michael Knoche, Bundessprecher der Gewerkschaft. „Wir mussten eine Reihe von Baustellen früher in den Streik nehmen, weil unsere Mitglieder vor Ort unbedingt streiken wollten.“
„Die Unternehmerverbände haben den Organisierungsgrad der IG-BAU unterschätzt“, gibt El Hakeem zu. Der Bauleiter der Firma Strabag, die für das Domaquarée zuständig ist, hofft auf eine schnelle Einigung bei den Verhandlungen. Doch Verständnis für die Forderungen der Gewerkschafter kann er nicht aufbringen. „Sie machen die ganze Branche kaputt“, schimpft er. Bis zu 40 Prozent Lohneinbußen müssten all diejenigen hinnehmen, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, sagt Hakeem. Und auch für das Domaquarée werde der Streik „tödliche Folgen“ haben. Da viele Arbeiter nur tageweise eingestellt werden, würden die Arbeitswilligen sich Baustellen suchen, die nicht bestreikt werden. Es werde Wochen dauern, bis die Baustelle wieder voll besetzt und in Gang ist.
„Darum streiken wir ja“, sagt Daniel Brose, zuständig für die Logistik in der Berliner Streikzentrale. Es gehe ja nicht nur um höhere Löhne. „Wir fordern die Wiedereinsetzung der Rahmenverträge, die von den Arbeitgebern gekündigt wurden.“ Löhne von unter einem Euro die Stunde und die große Zahl der nicht sozialvertraglich eingestellten Tagelöhner seien „einfach menschenverachtend“. Die Überzeugungsarbeit der Gewerkschaften scheint zu wirken: So seien die portugiesischen Arbeiter, die noch zunächst den Streik am Potsdamer Platz brechen wollten, alle der IG-BAU beigetreten.
Bauleiter Hakeem gibt sich vorerst geschlagen. Mit ein paar anderen „Streikbrechern“ beobachtet er in sicherer Entfernung seine gewerkschaftlich organisierten Kollegen. Zwar könne er theoretisch mit Hilfe der Polizei seine arbeitswilligen Angestellten auf die Baustellen bringen, „aber bei einer solchen Meute kann ich ihre Sicherheit nicht den ganzen Tag gewährleisten“.
Gelächter auf Seiten der Gewerkschafter: „Niemand von uns würde gegen die eigenen Kollegen handgreiflich werden“, sagt Gewerkschafter Müller: „Sie können sogar alle noch Mitglied bei uns werden.“
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