: Versager nimmt einen neuen Anlauf
Nach dem WM-Aus der Fußballer hofft man in England, dass Tim Henman wenigstens Wimbledon gewinnt
WIMBLEDON taz ■ Kann man sich den Tennisspieler Timothy Henry Henman (27) mit einer Frisur vorstellen, wie sie David Beckham trägt? Beim besten Willen nicht. Henman ist ein durch und durch konservativer Mensch, dessen Bereitschaft zu modischen Experimenten sich schwer in Grenzen hält. Kann man sich eben jenen Henman, die Nummer eins des Landes, als Sieger der All England Championships in Wimbledon vorstellen? Im Prinzip schon. Die Briten jedenfalls tun das alle Jahre wieder, wobei die Dringlichkeit der Vorstellung normalerweise in direktem Verhältnis zu den Erfolgen ihrer Fußballspieler bei Welt- oder Europameisterschaften steht. Gewinnen die, hat er Schonzeit, verlieren sie, ist er der Mann, der alles richten soll.
Seit sechs Jahren läuft die Geschichte so, seit er zum ersten Mal im Viertelfinale stand, doch es wird immer deutlicher, dass es kein fairer Handel ist, der Henman da aufgezwungen wird. Denn mit jedem gescheiterten Versuch, als erster Brite nach Fred Perry anno 1936 den Titel beim berühmtesten Tennisturnier der Welt zu gewinnen, wirken die Reaktionen der Landsleute ungnädiger. Wenn es hart auf hart gehe, sei kein Verlass auf ihn, lautet die gemäßigte Form der Kritik, er hat aber auch schon die Bezeichnungen Versager, Flasche oder Weichling gehört. Henman sagt, er habe damit kein Problem. „Ich habe die Lektion früh gelernt, und ich weiß, wie das Spiel läuft.“
Dass er vor den Championships 2002 wieder überall lesen und hören konnte, nie seien seine Chancen besser als diesmal – ohne Titelverteidiger Goran Ivanisevic, ohne Pat Rafter, mit einem unsicheren Kandidaten wie Pete Sampras –, geschenkt. Er ist an Nummer vier gesetzt und er sagt, die Resultate der vergangenen Jahre gäben ihm Zuversicht. Dreimal Halbfinale in vier Jahren – das ist eine Bilanz, die für sich spricht und die ihn glauben lässt, der Tag des großen Sieges werde kommen.
Vor einem Jahr ist es fast so weit gewesen. Im Halbfinale gegen Goran Ivanisevic war er zu Beginn des vierten Satzes der dominierende Mann. Doch dann kamen Regen und Dunkelheit, Ivanisevic hatte Zeit, sich zu sammeln, und am Ende war Henman wieder der Verlierer.
Er ist kein Typ für die großen Emotionen und er hat sich mit vielem arrangiert. Was nicht heißt, dass ihm alles gefällt. „In gewisser Weise ist es schade, dass ich zu sehr danach beurteilt werde, wie gut ich in Wimbledon spiele“, klagt er. Der nächste Versuch, das späte Glück in Wimbledon zu finden, beginnt heute mit dem Spiel gegen den Franzosen Jean-François Bachelot. Natürlich ist Henman bei den Buchmachern der Favorit, nicht nur für dieses Spiel, sondern für das gesamte Turnier, und es gäbe auch einen überaus passenden Anlass – schließlich befinden wir uns im Jahr der Feierlichkeiten zum goldenen Kronjubiläum Ihrer Majestät. Vor 25 Jahren, beim silbernen, ist Elisabeth II. zum letzten Mal in Wimbledon gewesen, und damals gewann die allseits verehrte Britin Virginia Wade den Titel. Wenn es stimmt, dass für alles im Leben die richtige Zeit kommen muss, dann wäre es im Sinne von Timothy Henman nicht schlecht, wenn sich die alte Dame mal wieder auf den Weg machen würde.
DORIS HENKEL
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