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Im Spiegelkabinett

Die Dinge neu sehen: Die amerikanische Schriftstellerin Judy Budnitz hat diesen ganz eigenen Ton – „Große Sprünge“, „Das Echo meiner Schritte“

von KATHARINA GRANZIN

Wenn man ein Hund wäre, würde sich beim Lesen das Nackenhaar sträuben. „Hundstage“ heißt die erste Erzählung aus Judy Budnitz’ Shortstory-Band „Große Sprünge“. Sie spielt in einem Weltkriegs-Provinz-Amerika, in dem das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist. Die Welt steht still. Der Krieg ist fern, aber die Bedrohung allgegenwärtig: „Also warten wir und beobachten den Himmel, beobachten die Straßen, beobachten den Boden – wer weiß, sie könnten einen Tunnel durch die Erde graben und uns in einer Weise überraschen, die wir am wenigsten erwarten.“

Der Kosmos der amerikanischen Durchschnittsfamilie bleibt dennoch auf gespenstische Weise intakt. Die Mutter füllt ihre Tage mit Putzorgien, der Vater seine mit sinnlosen Jagdstreifzügen. Die Tochter aber sitzt vor dem Haus und streichelt einem Mann im Hundekostüm das stinkende Fell. Der Hund-Mann, eine verwirrte, Schutz suchende Kreatur, stellt mit seiner Existenz die Fassade scheinbarer Normalität in Frage. Dass das in Zeiten des Ausnahmezustands nicht gut gehen kann, weiß man gleich. Nur gut, dass man kein Hund ist.

Oft würde man gern laut lachen – wenn nur das Lachen nicht schon hoffnungslos im Halse festsäße. Budnitz’ Geschichten sind wie ein Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt: Nie entstellen sie die Welt bis zur Unkenntlichkeit, verschieben sie aber irgendwie seltsam, sodass dem Betrachter zum Kichern ist und oft ein wenig übel. Da gibt es den Sohn, der sich dem moralischen Druck der Tanten beugt und einwilligt, seiner kranken Mutter das eigene Herz zu spenden. Die lepröse Studentin, die beim Sex Stück für Stück ihres Körpers verliert. Den Bäcker, der auf Bestellung Babys backt. Manche dieser Geschichten sind richtig böse, manche eher traurig, und, ja, ein paar wirken vielleicht doch etwas wie eine Fingerübung. „Elan“ etwa, eine witzig-zynische Abrechnung mit dem Cheerleader-Unwesen an Highschools, könnte – gerade weil sie so böse ist – die Vermutung nahe legen, die junge Autorin hätte aus der Schulzeit noch eine Rechnung offen.

Ganze 24 Lenze zählte Judy Budnitz, als „Große Sprünge“ 1998 im amerikanischen Original erschien. Viele Texte waren noch während ihres Creative-Writing-Studiums an der New York University entstanden. Doch workshoppy, schablonenhaft oder überkonstruiert, wie es Debütanten mit ähnlichem Hintergrund oft vorgeworfen wird, sind diese Storys beileibe nicht. Nicht alle sind kleine Meisterwerke. Aber alle haben diesen schrägen Blick auf die Dinge, diese lakonische, dabei immer humorvolle Stimme, die in fein stilisierter Alltagssprache auch die haarsträubendsten Geschichten so beiläufig erzählt, als würde sie den Weg zum Bahnhof erklären: diesen ganz eigenen Ton.

In einem Interview hat sich Budnitz zur bewussten Beschränkung ihrer literarischen Welt bekannt: „Es gibt nicht viel, worüber ich glaubhaft schreiben kann. Ich lebe ein ganz normales Leben, also muss ich eine neue Art finden, die Dinge zu sehen.“ Ein charmantes Understatement für eine außergewöhnliche Fantasiebegabung. Doch sicher nicht zufällig ist Budnitz’ erster Roman, den sie nach dem Erfolg ihres Story-Bandes schrieb, wie schon viele der Shortstorys eine Familiengeschichte. Ein grausames, spannend und farbig erzähltes Märchen eröffnet „Das Echo meiner Schritte“: die Geschichte von Ilana, die aufwächst in einem osteuropäischen Dorf, das „neun Monate des Jahres unter Schnee begraben lag, gefolgt von drei Monaten Schlamm“, und als Halbwüchsige auszieht, eine bessere Welt zu finden. Doch was ihr begegnet, sind Gewalt, Krieg und Zerstörung. Mit eisernem Überlebenswillen schlägt sie sich durch (dabei die erstaunlichsten Abenteuer überstehend, für die sich Budnitz kreativ aus dem europäischen Märchenfundus bedient) und wandert schließlich mit dem Geliebten nach Amerika aus. Die Familiensaga nimmt ihren Lauf. Männer werden geboren, Männer sterben, übrig bleiben die Frauen, vier Generationen von ihnen. In Ilanas Urenkelin Nomie werden die Geschichten aus dem alten Europa weiterleben.

Nun hat der Roman gewisse Schwächen. So erzählt Budnitz zwar aus vier verschiedenen Perspektiven, doch der Erzählgestus bleibt im großen Ganzen der gleiche. Manches gerät allzu episodenhaft. Dennoch ist die Lektüre ein Genuss. Manchmal furchtbar spannend. Zum Platzen voll mit guten Geschichten. Die deutsche Übersetzung ist sauber, wenn auch oft allzu wörtlich. Budnitz’ pointierter Stil kommt trotzdem an.

„Das Echo meiner Schritte“ erschien auf Deutsch bereits 2001, was für die hiesige Budnitz-Rezeption zu einem gewissen Missverständnis geführt hat. Denn da die weibliche Familiensaga ein sehr beliebtes, ja modisches Genre ist, wird nun die Autorin in Büchereien mit dem „Frauen“-Label versehen und in bekannten Kulturkaufhäusern unter dem Schildchen „Romane für Frauen“ ausgelegt. Auch „Große Sprünge“ liegt jetzt da, das definitiv weder das eine noch das andere ist. Da versucht wohl der Buchhandel den Männern mal wieder das Beste vorzuenthalten.

Judy Budnitz: „Große Sprünge“. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2002, 280 Seiten, 19,90 €Ľ„Das Echo meiner Schritte“. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2001, 368 Seiten, 19,90 €

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