: Öffentlichkeit ist Streit
Wie kann aus Frust und Zwistigkeiten eine „große Erzählung“ über Politik werden? Der israelische Filmemacher Avi Mograbi sucht nach dem Alltäglichen im Nahostkonflikt. Das Ergebnis ist „August“, eine gelungene Mixtur aus Schizo, Soap und Doku
von MADELEINE BERNSTORFF
Tel Aviv Heights ist ein wohlhabender Vorort. Deshalb ist es umso verblüffender, dass man dort eine Gruppe junger Männer sieht, die sich Dschellabahs und Palästinensertücher überziehen. Es sind Siedler aus den besetzten Gebieten, die den ahnungslosen Anwohnern demonstrieren wollen, wie es ist, wenn den Palästinensern das Feld überlassen würde, wenn die uralte israelische Befürchtung, ins Meer getrieben zu werden, wahr würde.
Avi Mograbi, Autor, Regisseur, Kameramann und Cutter des Films „August“, ist mit seiner Digitalkamera dabei. Er lässt die Leute reden – etwa die vorpubertären Mädchen, die kokett für die Kamera posieren und gleichzeitig ihre kindlich-direkten araberfeindlichen Stereotype loswerden. Dabei ist die Versuchsanordnung einfach: Mograbi steuert Orte an, wo Öffentlichkeit stattfindet. Es sind Orte, an denen demonstriert wird, aber der Film zeigt auch Leute, die in einer Arztpraxis warten und nörgeln; israelische Araber, die über Ausländer herziehen, weil sie ihnen die Arbeit wegnehmen; oder Jugendliche, die Steine werfen. Mograbi sammelt auf exzessive Weise Streitereien – mit dem Militär, mit der Polizei und den Demonstranten, die ihn alle nicht filmen lassen wollen. So entstehen Bilder einer Gesellschaft, in der sich niemand mehr vorstellen kann, dass es noch etwas anderes gibt, als monolithisch verrenkt entweder im einen oder im anderen Lager zu stehen. Das Psychogramm, das Mograbi mit einfachen und die Direktheit des Digitalmediums vollendet ausschöpfenden Mitteln erstellt, ist atemberaubend und sardonisch, gleichzeitig ironisch und bodenlos.
1997 hatte der Libanon-Kriegsdienstverweigerer Mograbi in seinem Video „Wie ich lernte, meine Angst zu besiegen und Arik Scharon zu lieben“ eine bizarre Begegnung zwischen der Rechten und der Linken in Israel gestaltet, die in einem orthodoxen Propaganda-Karaoke gipfelte. Und auch in „Happy Birthday Mr. Mograbi“ (1999) zeigte er anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Staates Israel, wie das Filmmaterial „des armen Filmemachers“ die Pluralität der Positionen in albtraumhaftem Sarkasmus einschmilzt.
Wie in seinen vorigen Filmen führt Avi Mograbi in „August“ weitwinkelverzerrte Selbstgespräche mit der Kamera. Er spielt sich selbst, seine Frau mit rosa Handtuch auf dem Kopf oder den Produzenten des Films, in Shorts mit umgekehrt aufgesetzter Baseballkappe. Alle drei treffen in einer Wohnung aufeinander, durch schlichte digitale Splitscreen-Effekte dargestellt, auch hier gibt es Streit und Zwist. Nachdem der Produzent die Wohnung zertrümmert hat, schläft er inmitten der Trümmer in einem kleinen digitalen Rauten-Insert. „Ich habe anfangs selbst nicht ganz verstanden, warum ich in ‚August‘ die drei Rollen – meine Frau, meinen Produzenten und mich selbst – spiele … Erst die Intifada hat mir klar gemacht, warum das genau der richtige Weg ist. Es ist ja nicht so, dass ich beim Filmen die Welt in ‚gut‘ und ‚böse‘ einteile. Ich sehe mich selbst immer als Teil dieser unschönen Wirklichkeit, schließlich partizipiere ich daran in meinen Filmen.“
Ein drittes Element sind Castingaufnahmen, die er nacheinander mit drei israelischen Schauspielerinnen durchführt. Eine von ihnen soll die Hauptrolle in einem Spielfilm bekommen – nämlich die der jungen Witwe eines Amok laufenden Siedlers, der betende Araber massakriert hatte. In diesen Szenen wird die selbstreflexive Brillanz von „August“ deutlich, die abgründige Mixtur aus Dokumentation und Fiktion, politischer Wirklichkeit und ihren traumatisierenden Bedingungen: wie kann so eine Geschichte gespielt und inszeniert werden, welche Perspektive drückt sich darin aus? Und welcher Effekte und Übertreibungen bedarf es, um daraus eine „große Erzählung“ zu machen?
„August (a moment before the eruption)“. Buch, Regie: Avi Mograbi; mit: Avi Mograbi, Adi Ezroni, Meital Dohan, Tchelet Semel, Israel/Fr 2002, 72 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen