„Weg mit den Pekingenten“

Erschreckende Misstöne auf einem alternativen Weltmusikfestival in Hannover

Wenig Erfreuliches gibt es in diesem Jahr vom so genannten Marsala-Weltbeat-Festival in Hannover zu berichten, welches jahrelang als grün-alternativer Hort der Toleranz und Völkerverständigung gegolten hatte, nun aber durch grobe Misstöne in Verruf geraten ist.

Auslöser der schnell und unaufhaltsam ins Tumultuarische abdriftenden Ereignisse war das vietnamesische „Red Poppy Orchestra“. Schon bei den ersten nachmittäglichen Proben wäre es fast zum Eklat gekommen, weil das 25-köpfige Ensemble, zusammengesetzt aus den besten Virtuosi der nördlichen Provinzen, das Abspielen landestypischer Klänge strikt verweigert und stattdessen deutsche Volksweisen zu Gehör gebracht hatte – mit dem in holprigem, aber unmissverständlichem Englisch vorgebrachten Argument, man sei schließlich keine Dorfkapelle, sondern die beste Party-Band östlich des Ho-Tschi-Min-Pfades und mithin zu Recht stolz auf das volkseigene internationale Repertoire. Nach eindringlichen Belehrungen des Festival-Managers über den multikulturellen Spirit, die ethnologische Credibility und Correctness der Veranstaltung schien die Sache offenbar fürs Erste bereinigt, wie auch Herr Hong, der eilends aus einer nahen vietnamesischen Garküche verpflichtete Dolmetscher, bestätigte.

Am Abend des Konzertes ruckte das Publikum denn auch erwartungsfroh auf den Stühlen und fixierte das Podest, wo die Musiker hinter Zimbeln, Gongs, Bambusgeigen und Gamlongs fein säuberlich und in altväterlicher Landestracht aufgebaut waren. Doch kaum hatte der Bandleader das Zeichen zum Einsatz gegeben, packte die Weltmusik-Afficionados nacktes Entsetzen. Was da von der Bühne rumpelte, zimbelte und bambusgeigte, klang wie „Muss i’ denn zum Städele hinaus“, nein, schlimmer noch – nach zwölf Takten war jedem klar, das ist „Muss i’ denn zum Städele hinaus“! Als die Asiaten eine psychedelische Version von „La Paloma“ folgen ließen, mischten sich in den mürben Beifall erste Pfiffe nebst vereinzelten Wurfgeschossen. Doch der Vietcong, gewohnt an Flächenbombardements ganz anderen Kalibers, ließ sich nicht beirren und rockte das Haus, o yeah.

Mit dem alten Les-Humpheys-Klassiker „Mama Lou“, Michael Holms „Mendocino“ und Howard Carpendales „Schönem Mädchen von Seite eins“ brachten die „Vietuosen“ (Göttinger Tageblatt) das Fass endgültig zum Überlaufen und die Angelegenheit ins brackige Fahrwasser der Schirrmacher/Walser/Reich-Ranicki-, bzw. der Möllemann/Friedmann/Habermas-Kontroverse. „Ausländer raus“, tönte es aus dem Oratorium und „populistische Scheiße“ und – besonders unschön, weil nicht nur geografisch völlig unkorrekt – „Weg mit den Pekingenten!“.

Ähnliche Ausfälle musste anderntags auch Ojugwu Nibelele über sich ergehen lassen. Der Ghanaer verstand die Welt bzw. den Weltbeatbeat nicht mehr. Wird er doch in seiner Heimat als „God of Rhythm and rhyme“ verehrt, weil er es mittels dreier verschiedenartig abgeschliffener Kokosnüsse fertig bringt, sämtliche „Madonna“-Hits vorwärts und rückwärts nachzustellen. „Deutsche verrückt in Kopf. Niemand in Afrika höre tumbe Volksmusike. Alles höre Big Mama Ciccione.“

Das Pavillonteam, Ausrichter der Weltbeat-Konzerte, hat bis auf weiteres alle Vorstellungen abgesagt und ein Symposion angesetzt. Titel: „Haste noch Töne: Die regionale Musikkultur im Würgegriff der Globalisierung. Referenten: Wolfgang Niedecken, Ralph Siegel und Billy Mo.“

MICHAEL QUASTHOFF