piwik no script img

Testlauf für die Große Koalition

Mehr Leiharbeit, weniger Schwarzarbeit: Das Konzept der Hartz-Kommission zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit erfreut Union und SPD gleichermaßen. Arbeitsmarktvorschläge dienen auch als Testballon, wie Bosse und Genossen reagieren

von HANNES KOCH

Mit den jüngsten Reformvorschlägen zum Arbeitsmarkt hat eine neue Phase des Bundestagswahlkampfs begonnen. Der Plan der Hartz-Kommission, die Zahl der Erwerbslosen bis 2005 zu halbieren, bietet den regierenden Sozialdemokraten eine späte Chance, aus der Defensive herauszukommen. Und so war sich denn SPD-Fraktionschef Peter Struck gestern auch sicher, dass die Fraktion hinter den Hartz-Vorschlägen steht.

Für Herausforderer Edmund Stoiber und die Union ist es genau umgekehrt: Sie haben die Initiative verloren und müssen eine neue Strategie finden, wie sie auf das Hartz-Konzept reagieren. Etwas hilflos wies Stoiber gestern darauf hin, dass wichtige Arbeitsmarktvorschläge aus dem Regierungsprogramm der Union stammten.

Gleichzeitig zeichnet sich eine Große Koalition ab, eine nicht unwahrscheinliche Konstellation am 22. September. Wenn etwa SPD-Fraktionsvize Joachim Poß die „Chancen des Prozesses“ und die „positive Richtung“ betont – dann klingt das bei der Union nicht anders. Von Wirtschaftsminister in spe Lothar Späth bis zur Parteivorsitzenden bleibt harsche Kritik mittlerweile aus. Wie Poß sprach Angela Merkel gestern von der „richtigen Richtung“.

Im Auftrag von Kanzler Schröder hatte eine Kommission, geleitet vom VW-Personalvorstand Peter Hartz, erste Vorschläge ausgearbeitet, wie mehr Arbeitslose eine Stelle finden sollen. Dabei setzt das Gremium auf die gemäßigte Deregulierung der alten Arbeitsverfassung. So sollen Arbeitsämter Ableger gründen, die Erwerbslose an Firmen als Leiharbeiter vergeben – wenn es sein muss, auch mal kostenlos. Schwarzarbeiter sollen legalisiert werden und bekommen trotzdem weiter Arbeitslosengeld: ein neuer Vorstoß zur Etablierung eines öffentlichen Niedriglohnsektors, der die Löhne der Betroffenen auf Schwarzarbeiter-Niveau festschreibt.

Der umfangreiche Reformkatalog besteht aus 13 „Modulen“, mit deren Hilfe Hartz die Arbeitsverwaltung grundsätzlich modernisieren will. Dazu gehört die pauschalisierte Auszahlung von Arbeitslosengeld in drei unterschiedlichen Stufen, was die komplizierte Berechnung der individuellen Leistung und damit Personal bei den Arbeitsämtern sparen soll. Die Kommission schlägt vor, Arbeitslosengeld nur noch ein Jahr zu zahlen, danach Arbeitslosenhilfe ein weiteres Jahr. Danach sollen – schneller als heute – die Jobsuchenden nur noch Sozialhilfe beziehen.

Die SPD-Basis bleibt trotz Unmut still. Denn die Partei weiß, dass die Hartz-Offensive vielleicht die letzte Möglichkeit ist, die schlechten Umfragewerte von rund 35 Prozent zu korrigieren. Die Botschaft ist klar: Die SPD erinnert sich an ihr großes, bislang nicht eingelöstes Versprechen von 1998, die Erwerbslosigkeit massiv zu reduzieren. Doch nicht nur der traditionellen sozialdemokratischen Klientel wird Handeln suggeriert. Schröder will auch die Manager zurückholen, die zur CDU abwandern. Im Hinblick auf die Wirtschaftslobby muss das Konzept möglichst radikal ausfallen: Kosten runter, Abgaben runter, Löhne runter. Doch Schröder testet nun auch, wie neoliberal er sein darf, ohne dass sich der Widerstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der SPD versteift.

Die Union kann zurzeit nicht anders als schlecht aussehen. Sie kann nur reagieren. Doch der erste Versuch, eine ablehnende Position zu markieren, schlug fehl. Mit seiner Definition der Hartz-Vorschläge als „Wahlkampfklamauk“ hat Stoiber daneben gelegen – das Konzept aus Wolfsburg ist ganz offensichtlich auf der Höhe der Zeit. Der Herausforderer musste sich korrigieren. Das liegt nicht zuletzt daran, wie Stoiber ja nun erbittert betont, dass Hartz auch an Unionsvorschläge anknüpft. Wenn es darum geht, staatliche Leistungen zu kürzen und Arbeitnehmerrechte zu verschlanken, sind die Konservativen immer gern dabei.

Das Reformkonzept der Hartz-Kommission konkretisiert letztlich einen Ansatz, den Gerhard Schröder und der britische Premier Tony Blair schon 1999 propagierten. Das umstrittene Schröder-Blair-Papier sollte den Leitfaden für die Modernisierung der Sozialdemokratie, für einen neoliberalisierten Sozialstaat abgeben. Damit sind die Vorschläge der Hartz-Kommission auch ein möglicher erster Entwurf, wie das Regierungsprogramm einer Großen Koalition nach den Bundestagswahlen aussehen könnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen