: Missbrauch im sozialen Steinbruch
Sozialsenatorin versteht die Kritik an ihrer Politik gar nicht: Hilfe für jeden, der sie braucht. Aber wer das ist, bestimmt sie. Und deshalb ist auch schon klar, dass es weniger werden. Sparen will sie im nächsten Jahr bei Zuwanderern und Sozialhilfeempfängern und Beschäftigungsförderung
von SANDRA WILSDORF
Berichte über einen „Steinbruch“ und eine „Politik der sozialen Kälte“, und dass Gewerkschaften, Kirche und sozial arbeitende Gruppen sich für ein „Manifest für eine solidarische Stadt“ zusammenschließen, all‘ das versteht Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) nicht: „Denn die Zahlen spiegeln etwas anderes wider“, sagt sie.
Wer Hilfe brauche, werde sie auch künftig bekommen, sagt die Senatorin und stellt einen Haushalt vor, der gegenüber dem jetzigen um 55 Millionen Euro abgesenkt ist und die Überschrift trägt: „Umsteuerung im Hilfesystem – Eigenverantwortung stärken.“ Allein zehn Millionen Euro will sie sparen, weil die Zahl der Sozialhilfeempfängern sinken soll – trotz hoher Arbeitslosigkeit. „Gegen Sozialhilfemissbrauch wird künftig konsequent vorgegangen“, sagt sie, als ob nicht schon der rot-grüne Senat Sozialhilfeempfängern unangemeldete Kontrolleure ins Haus geschickt hätte.
Mietkosten sollten begrenzt und Vermögen stärker berücksichtigt werden. Auch ohne konkrete Zahlen bemüht sie den Sozialhilfeempfänger, der sich sein dickes Auto vom Staat bezahlen lässt: „Es geht ja nicht um behinderte oder Menschen mit alten Autos. Aber wenn jemand einen Mercedes fährt, dann wird das auf das Vermögen angerechnet.“
Richtig zufrieden ist die Senatorin mit dem „Ein-Euro-Programm“: Seit März werden Sozialhilfeempfänger zu gemeinnützigen Arbeiten verpflichtet und bekommen dafür neben der Sozialhilfe einen Euro pro Stunde. „Wir haben 230 Stellen, und die sind alle belegt“, sagt Schnieber-Jastram. Das Programm soll deshalb ausgedehnt werden. „Wir wollen keinen Druck auf den 55-Jährigen ausüben. Aber junge, arbeitsfähige Menschen sollen nicht die freie Wahl haben, ob sie arbeiten oder nicht.“ Sie schätzt, dass das etwa auf 17.000 der 115.000 Hamburger Sozialhilfeempfänger zutrifft. Weil das „Ein-Euro-Modell“ das „Tariflohn statt Sozialhilfe-Modell“ ablöst, spart die Senatorin so den größten Teil der 6,8 Millionen Euro, die dem Bereich Beschäftigungsförderung abgezogen werden. Eine weitere Million wird beim städtischen Weiterbildungsträger „zebra“ eingespart, der umstrukturiert werden soll.
Kräftig sparen will Schnieber-Jastram auch bei den Zuwanderern: 8,6 Millionen Euro, weil die Zahl der Asylbewerber – dank restriktiver Politik – sinkt, und weitere 14 Millionen Euro, weil sie künftig früher in regulären Wohnungen statt in öffentlichen Unterkünften leben sollen. Die Wohnungslosenhilfe bekommt zunächst 600.000 Euro mehr, soll aber komplett umgebaut werden. Wie, will die Senatorin noch nicht verraten.
Der Ansatz der Hilfen zur Erziehung bleibt konstant, soll aber umstrukturiert werden: Weg von teuren Einzelfallhilfen, hin zu mehr Unterstützung für Familien. Das Projekt Familienhebammen, die Telefonberatung für Eltern mit Erziehungsproblemen und die Schnittstellenprojekte in den Bezirken sollen ausgebaut, die Zahl der Nachmittagsangebote für Schüler in sozial belasteten Stadtteilen von sechs auf zwölf Standorte verdoppelt werden. Bei den Zuwendungen gibt es „keine Kürzungsentscheidungen, die über das bekannte Maß hinausgehen“, sagt Schnieber-Jastram und bezieht sich dabei auf den laufenden Haushalt, für den sie besonders bei Frauenprojekten radikal gespart hat.
Hamburgs ver.di-Chef Wolfgang Rose bezeichnet die Sozialsenatorin als „große Verliererin“ der Haushaltsberatungen. Denn während für Gefängnisse, fürs Asphaltieren und Betonieren Geld da sei, lasse sie „Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, im Regen stehen.“ Und der SPD-Abgeordnete Dirk Kienscherf vermisst den angekündigten Schwerpunkt Behindertenpolitik und findet in dem Entwurf wenig Konkretes und keine neuen Ideen zur Verbesserung der Lage behinderter Menschen.
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