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Neue Standards beim Schulkampf

Die Kultusminister arbeiten auch nach dem Pisa-Schulvergleich mehr gegeneinander als miteinander. Zentrales Reformprojekt sind Bildungsstandards. In den Expertenstreit um nationale Mindestkompetenzen greifen nun auch die Kanzlerkandidaten ein

von CHRISTIAN FÜLLER

Als Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) vom Podium abtrat, wurde schnell klar, wie weit es mit der Einigkeit der deutschen Kultusminister her ist: Sie reicht bis zur ersten Provokation – dann hacken sie alle aufeinander ein. Dann geht es drunter und drüber.

Dabei hatte Reiche vor der Versammlung aller 16 Kultusminister und vieler Gäste im Berliner „Forum des Beamtenbundes“ nur ausgesprochen, was nach der Pisa-Studie eigentlich alle wissen können: Die Differenzen im Lernstand von 15-jährigen deutschen SchülerInnen sind derart groß, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den Ländern nicht gewährleistet ist. Damit sei auch der Auftrag des Grundgesetzes verletzt, sagte Reiche – und freute sich zugleich. Denn die Kultusministerkonferenz (KMK) habe ja schon Besserung beschlossen. Die KMK wolle der Krise mit länderübergreifenden Bildungsstandards und nationalen Vergleichstests von Schulen entgegenwirken. Ein erstes greifbares Ergebnis nach Pisa, das vom Publikum freundlich aufgenommen wurde – nur die Kultusminister begannen gleich wieder zu streiten.

„Jetzt muss ich aber doch noch mal was sagen“, schnaubte Annette Schavan (CDU), Schattenbildungsministerin einer Stoiber-Regierung – und zog gegen die Sozialdemokraten und ihre Bildungspolitik vom Leder. Die Union wolle übergreifende Standards in Lehrplänen schon lange. Aber die SPD habe blockiert. Erst nach Pisa habe die SPD zugestimmt. Nicht anders sei es mit nationalen Vergleichstests. Auch die habe die CDU erwirkt.

Das wiederum wurmte Jürgen Zöllner mächtig. Der bildungspolitische Koordinator der SPD-Länder sprang auf und wedelte mit einem Papier. Hier stehe, dass falsch sei, was die „liebe Frau Schavan“ gerade verkündet habe. Die KMK habe nationale Vergleichstests im Jahre 1997 beschlossen – auf seinen, Zöllners, Antrag hin. „Und ich war damals schon Mitglied der SPD.“ Die Zuschauer kicherten. So hautnah durften sie noch nie erleben, wie sich Parteien und Länder in der KMK gegenseitig triezen.

So geht das schon seit Jahren, Immobilität und Schneckenhaftigkeit der Kultusminister sind Legende. Nur scheinen nach Pisa die kuscheligen Zeiten der KMK vorüber zu sein. Schon einen Tag nach dem üblichen Gezeter veröffentlichte der Bundeskanzler ein fulminantes Plädoyer gegen die Bildungskrise – und gegen die KMK. „Was als ‚föderaler‘ Wettbewerb geprisen wird“, so schreibt Gerhard Schröder in der heutigen Ausgabe der Zeit, „erweist sich als Länderegoismus auf dem Rücken der Schüler.“ Schröder forderte eine Reihe sehr konkreter Maßnahmen, an erster Stelle nationale Bildungsstandards, und er brachte damit vor allem einen in Verlegenheit: seinen Herausforder.

Edmund Stoiber gefiel sich darin, mit dem durch Pisa dokumentierten Vorsprung der Union in der Bildungspolitik zu prahlen. Dass Eltern und Schüler nun endlich wissen wollten, wie und wann es in den Schulen besser werden könne, handelte Stoiber auf niedrigem Niveau ab: „Der Bundeskanzler Stoiber wird an den Länderkompetenzen in der Bildung nichts Grundsätzliches ändern.“ Der KMK gab Stoiber noch eine Chance – nämlich „rasch vergleichbare Bildungsstandards zwischen allen 16 Ländern zu vereinbaren“. Was die Kultusminister freilich unter „rasch“ verstehen, hatten sie Tags zuvor verraten: irgendwann zwischen Herbst 2003 und dem Frühjahr 2004. Ob das Eltern und Schülern reicht?

Vielen Kultusbeamten jedenfalls reicht das nicht. Hinter vorgehaltener Hand berichten ungeduldige Reformer, der KMK-Beschluss sei ja im Prinzip richtig. Nur brauche niemand damit rechnen, dass es mit den Bildungsstandards schnell gehe. Weil davon auch die 1.000 Lehrpläne der Länder berührt seien, bestehe eine große Gefahr: „Dass die jetzt alle wieder an eigenen Standards herumbasteln. Die 16 Kultusminister sind nämlich Spieler – die brauchen dringend einen Trainer.“

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