: Mann vom Mississippi
Telefonkonzern Worldcom löst neue Krise an den Börsen aus
Klar, im Kapitalismus ist vieles möglich und einer ist immer der Böse. Aber Bernie Ebbers geht einfach zu weit. Am Mittwochabend nach Handelsschluss der US-Börsen gab „seine“ Firma, der Telekom-Riese Worldcom, bekannt: Der Reingewinn in der Bilanz wurde zwischen Januar 2001 und März 2002 um 3,8 Milliarden Dollar nach oben manipuliert. Das ist von der Summe her mehr, als die Energiehändler bei Enron in ihren Bilanzen getrickst haben. Und Enron hatte mit seiner anschließenden Pleite schon die größte Vertrauenskrise in die Börsen seit Jahren ausgelöst.
Die Buchprüfer bei Worldcom kamen von der weltweit agierenden Kanzlei Arthur Andersen, genau wie bei Enron. Sie haben wieder nichts gemerkt – aber Bernard Ebbers war bis vor kurzem auch eine der Ikonen der US-Wirtschaft. Er war der Chef einer relativ kleinen Telekomfirma in Mississippi, setzte auf die richtige Geschäftstaktik und kaufte in den 90er-Jahren eine Firma nach der anderen, bis er die Nummer 2 in den USA auf dem Telefonmarkt und einer der führenden internationalen Internet-Netzwerkkonzerne war. Damit löste er die Fusionswelle im bis dahin zementierten Telekomsektor wesentlich mit aus. Und er war so ein good old boy: Großrancher in Kanada und Cowboy-Stiefel-Fan. Die Bevölkerung am Stammsitz seiner Firma besitzt seine Aktien, wurde mit seinem Aufstieg zeitweilig reich, zumindest auf dem Papier. Ebbers ging regelmäßig in die dortigen Bars und Geschäfte, half in der Gemeinde mit wie irgendein Alteingesessener. Er verpfändete sogar sein eigenes Vermögen, um Worldcom-Aktien zu kaufen. Ein mit allen Wassern gewaschener, risikoverliebter Geschäftsmann zwar, aber mit dem Image des aufrechten Gangs der US-Pioniere.
Ebbers wurde im April auf Druck der Aktionäre gefeuert. Denn durch die Krise im Telekomsektor hatte die Firma Schwierigkeiten, ihre durch all die Unternehmenskäufe hochgetriebenen Kredite zu bezahlen. Das neue Management entdeckte nun, dass simple Betriebsausgaben systematisch als Investments gebucht wurden. Investments jedoch werden über Jahre abgeschrieben und entlasten so kurzfristig die Bilanz.
Dass ein so offensichtlicher Betrug bei einer Weltfirma möglich ist, schockte selbst hartgesottene Börsianer. Als gestern Morgen die Börsen wieder öffneten, sausten Telekommunikationswerte weltweit in den Keller und rissen andere Werte mit – weiß ja keiner, was an Überraschungen bei anderen hochgejubelten Konzernen sonst noch alles auftaucht. Die Deutsche Telekom sackte zeitweilig auf ein Allzeittief von 8,14 Euro, erholte sich bis Redaktionsschluss nur leicht auf gut 8,30 Euro. Telekom- und verwandte Werte in Frankreich und Spanien mussten sogar vom Handel ausgesetzt werden, so stark ging es nach der Eröffnung nach unten.
Was mit Worldcom nun passiert, ist unklar. Selbst die Manager des Konzerns schließen einen Gang zum Konkursrichter nicht mehr aus. Sie haben erst einmal die Entlassung von 17.000 Mitarbeitern angekündigt. Die Aktionäre jedenfalls haben praktisch schon einen Totalverlust: Von 115 Milliarden Dollar Börsenwert im Juni 1999 ist nicht einmal mehr 1 Milliarde übrig. Da wird Herr Ebbers wohl vom Helden zum Schuft wechseln. Und zwar weltweit.
REINER METZGER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen