Karrieresprung auf einen Schleudersitz

Generalinspekteur Harald Kujat geht zur Nato, Wolfgang Schneiderhan übernimmt dessen Job bei der Bundeswehr

Man kann Rudolf Scharping vieles unterstellen, aber gewiss keine militärkritische Haltung. So sagt es einiges über die Amtsführung des Verteidigungsministers aus, wenn sich dennoch mit Harald Kujat der ranghöchste Offizier der Bundeswehr, früher einer seiner engsten Vertrauten, jetzt offenbar erleichtert zur Nato verabschiedet. Kujats Nachfolger Wolfgang Schneiderhan wird trotz des Karrieresprungs eher mitfühlend als neidisch begegnet.

Der neue Generalinspekteur übernimmt eine Aufgabe, die nach Einschätzung der meisten Beobachter unerfüllbar ist: Er muss eine Bundeswehrreform zu Ende bringen, deren Unterfinanzierung immer offensichtlicher wird. Zugleich soll er einer Regierung, die Militärpolitik zunehmend mit Außenpolitik verwechselt, lauter hoch motivierte, vorzüglich ausgebildete und bestens ausgerüstete Soldaten für immer mehr Auslandseinsätze zur Verfügung stellen. All das vor dem Hintergrund einer sich ständig verschlechternden Stimmung bei der Truppe. Eigentlich kann man da nur viel Vergnügen wünschen oder – je nach Einstellung – Gottes Segen.

Scharping (oder wie immer sein Nachfolger heißen mag) darf bezüglich der Beförderung des neuen Viersternegenerals immerhin auf zweierlei hoffen: auf die Persönlichkeit des 55-jährigen Oberschwaben und auf die Prägewirkung seiner bisherigen Laufbahn. Die hat den neuen Generalinspekteur zu einem profunden Kenner soldatischer Befindlichkeit gemacht.

Kujat, der am 1. Juli den Vorsitz des Nato-Militärausschusses übernehmen wird, stammt aus der Luftwaffe. Die versteht sich gern als Elite. Dazu passt, dass Kujat stets vor allem als großes politisches Talent gelobt wurde. Schneiderhan kommt aus dem Heer, genauer: aus der Panzertruppe, dem wenig glamourösen Rückgrat der Bundeswehr. Wer dort gedient hat, kennt die Sorgen und Nöte einfacher Soldaten. Das mag einem Generalinspekteur helfen, der um Akzeptanz für eine – gerade bei niedrigen Dienstgraden – umstrittene Reform werben muss.

Natürlich kann auch der neue Generalinspekteur prestigeträchtige Betätigungsfelder vorweisen. Der bisherige Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium hat schon im Nato-Hauptquartier und als Dozent an der renommierten Führungsakademie der Bundeswehr gearbeitet. Für ihn scheint das vor allem eins zu bedeuten: dass er sich eine betonte Distanz zur Kaste der Intellektuellen und zur politischen Klasse insgesamt leisten darf. Einfältigkeit wird man ihm schließlich kaum unterstellen können.

Die Erosion des einstmals guten Verhältnisses zwischen Scharping und Kujat war monatelang beliebtes Klatschthema der Medien. Es ist nicht anzunehmen, dass Schneiderhan ähnlich süffiges Futter liefern wird. Schließlich hat er stets Wert darauf gelegt, dass sein innerer, geistiger Abstand zur politischen Führung – lies: zum Minister – allen Übereinstimmungen zum Trotz erkennbar blieb. Individuelle Charaktermerkmale wie eine schnelle Auffassungsgabe, die Fähigkeit zur Ironie und – erstaunlicherweise – zum Vertrauen in andere kommen dem fünffachen Vater und Ehemann einer Jugendrichterin da zugute. Der Amtsantritt des neuen Generalinspekteurs weckt immerhin etwas: Neugierde. Das ist angesichts sonstiger Berufungen gar nicht wenig. BETTINA GAUS