: Besuch bei Gott
Seit 25 Jahren operiert Gert Postel als Fälscher seiner selbst und als Dealer mit den Erwartungen anderer. Über einen Hochstapler, der gar nicht so hoch hinaus wollte – nur in den oberen Mittelstand
von MARKUS VÖLKER
Es dauert nicht lange, dann erledigt Gert Postel seinen Job. Der Verführer verführt, ziemlich unverschämt sogar. „Schreiben Sie doch mal was ganz Schräges. Ich war bei Gott zu Besuch. So besonders dümmlich, das fänd ich lustig.“ Er lacht lauthals. „Dann sagen alle, siehste, den hat er auch wieder eingewickelt. Aber das können Sie mit ihrer Eitelkeit wohl nicht vereinbaren. Oder?“ Halten wir also fest: Postel war zu Besuch bei Gott.
Beide hätten sich wohl eine Menge zu sagen. Denn so fern ist Postel das himmlische Gewese nicht. Auch er „gewährt Audienzen“, „legt Hände auf“ und „erteilt Absolution“, wie er vorgibt. Dabei schaut Postel gar nicht wie ein Erweckungsprediger aus, sondern tritt viel mehr als Jurist, Hochschuldozent, Architekt oder Zahnarzt in Erscheinung. Jedenfalls gibt er den Anschein, er, der Postbote mit Hauptschulabschluss aus Bremen, der zuletzt in der Rolle eines Psychiaters glänzte. Der Fälscher kopiert die Originale in Jargon, Gestus und Fachwissen meisterhaft. Lernbegierig tummelt er sich ausschließlich in seiner Sehnsuchtsschicht der Oberstaatsanwälte und Ministerialbeamten.
Seine Opfer sind „all die armen Würstchen in Dauererektion“, Postels Spiegelbilder, die kein Spiel spielen und sich auch keine Ehrfurchtspause vor sich selbst gönnen. Postel tut das gelegentlich. Die Medien finden so eine Figur todschick. Das ZDF arbeitete über Postel. Die ARD auch. Er vagabundierte durch die Talkshows. Fliege. Biolek. Die ganze Palette. Die Hamburger Filmfirma Me, Myself and Eye erwarb sogar die Rechte an seiner Vita.
„Bei der Hochstapelei geht es um die mediale Inszenierung von Helden mit Eigenschaften, die jeder braucht, der mit der Modernisierung der Gesellschaft Schritt halten will“, meint Stephan Porombka. Er forscht an der Berliner Humboldtuniversität über Aufschneider, die sich im Licht der Öffentlichkeit in glänzende Robin Hoods verwandeln. Hochstapelei sei aber heutzutage zu einer Kulturtechnik geworden. „Das Bluffen gehört zur Alltagsorientierung ebenso wie die kernige Inszenierung eines entkernten Selbst.“
Antipsychiatriebewegung und Vereine wie „Irrenoffensive“ haben an Postel einen Narren gefressen. Einer deren Vertreter, René Talbot, glaubt, mit ihm gegen die „Wortrabulistik der Psychonepper“ vorgehen zu können, benennt den Bonhoeffer-Gedenksaal in der Berliner Charité nach Gert Postel um und plant eine Preisverleihung von Scharlatans Gnaden. Postel interessiert an Talbot zunächst einmal, dass der sich als „Millionär“ ausgibt.
Was man alles aus Postel machen kann, beweist auch die junge Welt, die bemerkt haben möchte: „Wir haben es in der Person Gert Uwe Postel mit einem großen Humanisten zu tun.“ Manchem Journalisten taugte Postel als Großleinwand, auf die er seine Theorien werfen konnte. Volker Zastrow, „mein Lieblingsjournalist“, so Postel, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die „Gegenwart“ spezialisiert, betrieb dieses Hobby recht exzessiv. Postel wurde in großen Auftritten als allmächtiger Finsterling inszeniert, ein andermal erkannte Zastrow in Postel den Antihochstapler. Der Spiegel zog darob genüsslich über Zastrow her. Tenor: Wie könne man einem Kreter glauben, der sagt, alle Kreter lügen. „Der Zastrow hat einen Vogel“, lässt Postel wissen, „aber einen ganz großen. Rufen Sie den mal an.“ Nach dem Telefonat mit Zastrow versichert sich der FAZ-Redakteur mehrfach, ob ich nicht womöglich Postel gewesen sei. Postels Taktik geht auf.
Seine Fans vermitteln ihm das aufdringliche Gefühl, „ein Star wie Michael Jackson“ zu sein. Tatsächlich: Bei Lesungen des Buches „Doktorspiele“ lässt sich Postdoc Postel feiern. Vor allem in Leipzig und Dresden folgen die Besucher andächtig. Über zweihundert Leute drängen in die Buchhandlungen. „Die waren alle hin und weg“, schwärmt Postel. „Alle waren da, alle.“ In Berlin kommen nur dreißig Leute. Zwischen Chemnitz und Halle gilt er als Volksheld, weil er, so heißt es, ein paar Wessis aufs Glatteis führte. In der Hauptstadt erlischt sein Bonus Ost.
Der Tagesspiegel bemerkt, „die Kranken, Enttäuschten und Beladenen kommen zu seinen Lesungen und fühlen sich bald erleichtert.“ Postel verkauft sich, so gut er kann, als Erlöser. Eine Frau vom „Verband der Psychiatrieerfahrenen“ breitet ihr Schicksal aus. Aber er hat schnell genug von ihr und kalauert: Im Zweifelsfall helfe ihr Haldol, ein Medikament zur Beruhigung.
Postel weist penibel auf all die „Huldigungsartikel“ hin, die über ihn erscheinen. Über die kritischen Stücke sagt er: „Ein Mythos ist nicht mehr angreifbar, egal was über ihn geschrieben wird.“ Ihm sei es ziemlich egal, was die Leser irgendeiner Zeitung von ihm hielten. Kein Blatt kommt ohne Verriss davon. Die taz erscheint ihm „wenig fundiert, ein bisschen witzig, insgesamt komisch“. Neue Zürcher Zeitung? „Geistreicher Pöbel.“ Spiegel? „Nihilistischer Mist.“ Stern? „Ein Drecksblatt.“ Die Zeit? Serviert er nur noch ab.
Postels System der kunstvollen Verführung reicht weit. Nach Telefonaten bleibt die quälende Ungewissheit, mit wem man denn nun telefoniert hat. War es sein Anwalt Nicolas Becker oder doch Postel? „Wissen Sie“, sagt Postel, „Bescheidenheit bei mittelmäßigen Talenten ist bloße Ehrlichkeit, bei großen Talenten ist sie Heuchelei.“ Ist von Schopenhauer, seinem großen Vorbild.
Mit Schopenhauer hat er sich lang und breit auseinander setzen können. Im Gefängnis bleibt viel Zeit für philosophische Intensivkurse. Er saß in Leipzig 31 Monate ein wegen Urkundenfälschung, Betrugs, Täuschung und Missbrauchs von akademischen Titeln. Hochstapelei als solche wird nicht strafrechtlich verfolgt.
1977 beginnt seine Laufbahn. Der gelernte Briefträger verschafft sich mit einem gefälschten Abiturzeugnis eine Stelle als Rechtspflegeanwärter in Bremen. Danach spielt er Arzt, zumeist im Irrenhaus. 1979 wird er erstmals verurteilt, zu einer Geldbuße. Bekannt wird er als falscher Amtsarzt Dr. Dr. Bartholdy in Flensburg, weil er die Bekenntnisse des Hochstaplers Gert Postel in Buchform unters Volk bringt.
Reiner Pfeiffer verfasst „Die Abenteuer des Dr. Dr. Bartholdy“. Schon Ende der Siebzigerjahre lernt er Pfeiffer beim Joggen in Bremen kennen, schummelt ihn 1986 zu Bild. Pfeiffer wird später Medienberater des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU).
Postel mischt in der Barschelaffäre mit, beschafft telefonisch Geld zur Observierung von Björn Engholm (SPD). Außerdem gibt er vor, der ominöse „Robert Roloff“ zu sein, den Barschel vor seinem Tod in Genf getroffen habe. Der Kreislauf der Hochstapelei wird bisweilen schwindelerregend schnell. In den Neunzigerjahren legt Postel kleinere Pausen ein, sucht als Priesterschüler Zerstreuung. Dann lockt ihn die Stelle des Oberarztes im Maßregelvollzug von Zschadraß.
Postel behauptet, dreißig Konkurrenten um den Posten ausgestochen zu haben. Vor allem habe sein Vortrag über die „Pseudologia phantastica“ sowie die Erwähnung seiner Doktorarbeit „Kognitive Verzerrungen in der stereotypen Urteilsbildung“ Aufsehen erregt.
Beides ist Humbug. Es gab nur zwei Bewerber. Er hat nie einen Vortrag gehalten, wenngleich er das Thema aus seiner Erfahrungswelt schöpfte. Der Psychiater Anton Delbrück schrieb Ende des 19. Jahrhunderts über die Pseudologia phantastica: „Hierunter verstehen wir das Verschmelzen von Phantasie und Wirklichkeit in einer solch intensiven Weise, dass der Tagträumer selbst oft nicht mehr zu unterscheiden vermag, was Realität und Fiktion ist.“
Chef von Dr. med. Postel war seinerzeit Horst Krömker. „Schlimm“, sagt er, wenn er an ihn zurückdenkt. Der Fall will für ihn noch immer kein Ende nehmen. Gelegentlich verhöhnt ihn Postel am Telefon, lacht „ganz komisch“, stößt Beschimpfungen aus. Legt wieder auf. Ruft nervtötend oft an oder schickt eine Flut von Kurzmeldungen auf Krömkers Handy, in denen er sich darüber echauffiert, dass der Chefarzt noch im Amt sei.
Auch Krömkers E-Mail-Postkasten füllt sich mit Schmähungen. „Er macht eine richtige Kampagne“, sagt Krömker und diagnostiziert, dies sei ganz sicher „kein einheitlicher Mensch“. Auf diese Erkenntnis stieß auch schon der Hamburger Psychologe Herbert Maisch, der vor dem Landgericht in Flensburg 1984 Postels „freie Selbsteinschätzung“ vortrug. „Es mangelt mir an einem inneren Kern“, soll Postel dem Gutachter verraten haben. „An einer Substanz, einer Mitte, an hinreichender Identität und Individualisierung.“
Krömker steht vor der quälenden Frage, warum er, der Seelendoktor, Postel nicht hat entlarven können. „Psychiatrie ohne Vertrauen funktioniert nicht“, erklärt er. Im Nachhinein liege der Fall ziemlich klar vor ihm. „Er existiert nur über die Spiegelung“, vermutet Krömker. „Er hat keinerlei eigene Positionen. Da liest jeder in ihn rein, was er will. Er ist ja zu konzeptionellen Handlungen nicht fähig gewesen. Wenn man ihm eine Aufgabe gegeben hat, dann ging es, aber ihm fehlt insgesamt die Spannkraft.“ Und dann sei da noch die Sache mit der Selbstbeherrschung. Er brauche immer ein Objekt, um seine Aggressionen abzubauen.
Den Defiziten setzt Postel allerdings seine genialischen Begabungen entgegen, Menschen an seine Interessen zu binden und deren Begehren zu domestizieren. Und: Er ist am Telefon ein variantenreicher Meister der Mimikry. Mit diesem Handwerkszeug des Trugs wäre er vielerorts aufgeflogen. Nicht so in Zschadraß. Die standardisierte Sprache der Psychiatrie ließ Fluchträume offen. In der Klinik durfte Oberarzt Postel noch „Vizegott“ (Postel) sein.
Der Argwohn der Schwestern gegenüber dem aufgeplusterten Westler stieß erst gar nicht bis zu Krömker durch. „Es gab keinerlei symmetrischen Austausch“, räumt Postel selbst ein, dem der Sinn nach symmetrischem Austausch stand. Der Irrenarzt fühlte sich einsam in der ostdeutschen Einöde.
Als der Maßregelvollzug nach einem Jahr geschlossen wurde, sei Oberarzt Postel immer stärker „psychisch auffällig“ geworden, erinnert Krömker. „Gereizt, unter Spannung stehend, er war ganz bestimmt nicht der strahlende Held.“ Krömker schließt seine Ausführungen mit der Diagnose: Maligner (bösartiger) Narzissmus nach Otto Kernberg. Der Psychoanalytiker Kernberg schreibt, hierbei handle es sich um die schwerste Form des krankhaften Narzissmus, nämlich um die Rückkehr zu primitiver Aggression und die Idealisierung dieser aggressiven Anteile des Selbst. Demnach hat Postel, angetrieben von üblen Machtfantasien, Freude daran, andere leiden zu lassen, sie zu vernichten, Zuneigung auszubeuten.
Richterinnen, Staatsanwältinnen, Ärztinnen machten auf diesem Gebiet ihre Erfahrungen mit Postel, wenngleich sein Anwalt Nicolas Becker darauf hinweist, er könne durchaus auch „nette, vertrauensvolle“ Beziehungen führen. Wöchentlich telefonieren Becker und Postel miteinander. Becker, Anwalt Erich Honeckers und Schüler Otto Schilys, hat zu großen Teilen das Buch „Doktorspiele“ geschrieben und protegiert. Auf dem Buchdeckel steht freilich Gert Postel. Das ist erstaunlich, denn Postel kann nicht nur schlecht rechnen, sondern schwächelt auch beim Schreiben. In Zschadraß umging er die Schreibschwäche, weil er alles seiner Sekretärin diktierte.
Anwalt Becker wird von seinem Mandanten zum Dank in den Stand eines „Genies“ gesetzt. „Jedes Telefonat mit ihm ist ein Bildungserlebnis der allerersten Güte“, rühmt Postel. „Übrigens, das Geheimnis meiner Bildung ist, dass ich mich immer mit unendlich Klügeren umgeben habe.“ Becker befremdet diese Idealisierung, den Kontakt aber pflegt er dennoch. „Herr Postel möchte, dass er mit Leuten umgeht, die unheimlich toll sind, die er zeitweilig idealisieren kann.“
Für den Staranwalt ist der statusschiefe Umgang eine intellektuell anregende Nebenbeschäftigung – mit reziprokem Machtverhältnis. Becker kennt Postels Grenzen sehr genau. Er könne mit aggressivem Verhalten schlecht umgehen. „Da sollte man doch mehr Gelassenheit zeigen können“, beanstandet Becker und schlussfolgert: Dass Postel seit 22 Jahren Doktor spiele, offenbare „das Repetitive“ seines Handelns. „Ein internationaler Hochstapler kann er nie werden, weil er leider keine Fremdsprache fließend spricht.“
Auch ein bürgerliches Leben kommt wohl kaum in Frage. Postel verhält sich dazu wie ein Polygamist zur Ehe. In einer Talkshow schlägt Postel vor, er würde als Protokollchef des Auswärtigen Amtes durchaus brillieren. Und: Im Impressum der Frankfurter Allgemeinen Zeitung will er demnächst erscheinen. Ein Anruf genüge. Außerdem stünde die Audienz bei Gott noch an. „Das fänd ich ausgesprochen witzig, das mit Gott.“ Beim Papst war Postel schon.
MARKUS VÖLKER, 31, ist freier Journalist und arbeitet häufig für die taz. Er lebt in Berlin
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