„Jeder ist ein potenzieller Erfinder“

Heute vor 125 Jahren wurde das Kaiserliche Patentamt in Berlin gegründet. Eine Außenstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes hat weiterhin ihren Sitz am Landwehrkanal in Kreuzberg. Sie ist ein Mekka des Wissens und der Kreativität

von PHILIPP GESSLER

Der Mann hatte viel Zeit. Und ein Hobby: Rosenzüchten. Dumm nur, dass die damals verkäuflichen Gießkannen einen zu starken Strahl auf die edlen Gewächse leiteten – und der Brausekopf so leicht verloren ging und verdreckte. So erfand der Oberbürgermeister von Köln a. D. einen neuen „Brausekopf“ und meldete ihn am 1. Juni 1940 beim Reichspatentamt an, selbstbewusst dessen Vorteile gegenüber älteren Modellen lobend: „Demgegenüber sieht die den Gegenstand der Anmeldung bildende Erfindung einen ortsfesten Brausekopf vor, der sowohl das Gießen mit einem, ungeteilten, Strahl als auch mit Sprühregen ermöglicht, und der ferner jederzeit leicht gereinigt werden kann.“ Das war nicht die erste Erfindung des 64-Jährigen, den die Nazis aus dem Amt vertrieben hatten und der nun die Zeit in Rhöndorf bei Bonn versteichen ließ: Schon 1915 hatte der helle Kopf ein „dem rheinischen Roggenschwarzbrot ähnelndes Schrotbrot“ patentieren lassen. Doch nicht als Erfinder ging Konrad Adenauer in die Geschichte ein, sondern als erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Die Patentschriften für den Brausekopf und das Schrotbrot Adenauers sind zwei der Schätze aus dem Archiv des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA), das heute seinen 125. Geburtstag feiert. Am 1. Juli 1877 nahm das damalige Kaiserliche Patentamt in Berlin seine Arbeit auf – und schon einen Tag später vergaben die Beamten das erste Patent: Ein Johann Zeltner von der Nürnberger Ultramarin-Fabrik erhielt die mit einem kaiserlichen Adler geschmückte Patentschrift für ein „Verfahren zur Herstellung einer rothen Ultramarinfarbe“. Kein Meilenstein der Technikgeschichte.

Über die redet Jürgen Zimdars gern. Der „Sachgebietsleiter Information“ des Patentamts sitzt neben seinem Stehpult in einem alten Büro des Jahrhundertwendebaus an der Gitschiner Straße nördlich des Landwehrkanals in Kreuzberg. Hier residierte das Kaiserliche Patentamt von 1905 bis 1945 – seit 1949 ist hier nur noch eine Außenstelle des Deutschen Patentamts, das wegen der Kriegswirren und aus Angst vor den Sowjets in der zweigeteilten Stadt nach München umziehen musste. Rund 120.000 Patente würden jedes Jahr angemeldet, berichtet Zimdars: Im Schnitt wächst die Zahl der Anmeldungen pro Jahr um 5 bis 10 Prozent. So liegen derzeit rund 40 Millionen Patentschriften vor (jeweils zwei von jeder Anmeldung, geordnet nach Sachgebiet und laufender Nummer). Ein Mekka des Wissens, des Geschicks und der Kreativität.

„Jeder Mensch ist ein potenzieller Erfinder“, sagt Zimdars, denn „erfunden wird, weil jemand ein Problem hat“. So erfand Karl Linde die „Kälteerzeugungsmaschine“ und Thomas Alva Edison die „Sprechmaschine“ – beides Anmeldungen aus dem Gründungsjahr 1877. Zwölf Jahre später erhielt C. R. Viehofer das Patent auf den Reißverschluss, Artur Fischer 1956 seine Patentschrift für den Dübel. „Ein riesiger Wissenschatz“ sind allein die archivierten Anmeldungen zum Patent, erklärt Zimdars. Denn rund 90 Prozent von ihnen würden nie industriell umgesetzt.

Aus gutem Grund: Denn braucht die Menschheit wirklich die „elektrische Weckvorrichtung, welche nur bei Aussicht auf gutes Wetter weckt“? Ist es verwunderlich, dass sich kein Unternehmer fand, der investieren wollte in die „Weckvorrichtung, bei welcher der zu weckenden Person die Bettdecke durch ein mittels einer Weckuhr ausgelöstes Federwerk entzogen wird“? Und wer außer dem Erfinder selber ließ sich begeistern von der „Staubabsaugevorrichtung“, die durch das Geschaukel von Opas Lehnstuhl angetrieben wurde?

Zimdars warnt davor, solche kuriosen Erfindungen als Skurrilitäten abzutun: Was uns heute lustig vorkomme, hätten viele damals lediglich als originell empfunden – und umgekehrt. Zudem „beruht vieles, was für uns heute wichtig ist, auf den so genannten kuriosen Erfindungen“ von damals: Es gebe da eine „enge Verbindung“. Durch Patente geschützt werden könnten alle technischen Erfindungen, „die weltweit neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind“, heißt es im Patentrecht. Kein Kriterium sei, ob keiner die Erfindung nutze und sie voraussichtlich keinen wirtschaftlichen Nutzen habe, erklärt Zimdars.

Wohlan denn, erfindet! Neben den Japanern und den US-Amerikanern sind die Deutschen seit 125 Jahren die weltweit mit Abstand fleißigsten Erfinder – eine zukunftsweisende Tradition: Denn wer weiß schon, was aus seiner Erfindung aufgrund der Kreativität eines anderen eines Tages wird, sagt Zimdars: „Für alle Erfindungen gibt es meist viele Erfinder.“ Adenauers Brausekopf ist nur ein Anfang.