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Der Traum vom globalen Recht

Heute tritt das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Kraft – ein Meilensteinder Rechtsgeschichte. Doch ungesühnte Verbrechen wird es weiter geben

Der Strafgerichtshof ist ein kompliziertes Gebäude – niemand konnte hoffen, dass es so schnell fertig wird

Eines der ehrgeizigsten, schwierigsten und langwierigsten Projekte der internationalen Politik erreicht heute einen vorläufigen Höhepunkt: Mit dem 1. Juli 2002 tritt das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Kraft. Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschheit, Völkermord und Kriegsverbrechen, die ab dem heutigen Tage begangen werden, können im Prinzip vor dem IStGH strafrechtlich verfolgt werden. Die Grundidee ist bestechend: Kein General, der seine Gegner umbringen lässt, kein Diktator, dessen Macht auf Folter und Mord beruht, kann mehr sicher sein, ungeschoren davonzukommen. Nur: So weit ist es noch lange nicht.

Dabei war die Entwicklung rasant. Noch bei der Verabschiedung des Statuts vor vier Jahren in Rom hatte niemand damit gerechnet, dass die notwendigen 60 Ratifikationen schneller als mit Ablauf von acht bis zehn Jahren zu erreichen wären – heute sind es bereits 71, Tendenz rasch steigend. Nahezu vorbildlich haben einige Regierungen – darunter die deutsche – und Nichtregierungsorganisationen Hand in Hand gearbeitet, um für den Gerichtshof zu werben und die Ratifizierungsprozesse voranzutreiben. Das humanitäre Völkerrecht und der Kampf gegen die Straflosigkeit sind mit den Stationen Rom-Statut, Pinochet-Verfahren, belgische Gerichtsverfahren und nicht zuletzt den Ad-hoc-Tribunalen zu Ruanda und Exjugoslawien in einem Eiltempo weiterentwickelt worden, dass es selbst Juristen mit ausgesuchter Expertise nicht mehr ganz leicht fällt, den Überblick zu behalten.

Sicher ist: Die Luft für Schreibtischtäter und Auftraggeber staatlicher Folter und Massenmords ist dünner geworden, lieb gewordene Argumente von Immunität und der Nichteinmischung in souveräne – wenn auch menschenverachtende – Entscheidungen von Staatsführungen sind auf dem Rückzug.

Und doch ist die Erfolgsmeldung vom In-Kraft-Treten des IStGH-Statuts von unübersehbaren Problemen überschattet. Denn die Rechtsnorm ist das eine – die Wirklichkeit, unwillige Politiker und massive Widerstände, das andere. Kann dieser Strafgerichtshof eigentlich funktionieren, wenn ausgerechnet die stärkste Militärmacht der Welt nicht nur die Zustimmung verweigert, sondern offen aggressiv dagegen angeht?

Die USA haben sich von einer Phase des Dialogs – bis zur Verabschiedung des Rom-Statuts, das auf US-Intervention hin abgeschwächt wurde – über eine Phase des Abwartens zur offenen Feindschaft bewegt. Die Argumente der US-Regierung halten den Fakten allesamt nicht stand – da werden Befürchtungen geäußert, die das Statut eindeutig ausschließt.

So verfestigt sich der Eindruck, dass der schon paranoide US-Widerstand gegen den IStGH wenig mit dem Gerichtshof selbst zu tun hat. Vielmehr bekämpft die US-Regierung jegliche internationale Regelung, die ihre abgesicherte Vetomacht im UN-Sicherheitsrat und ihre De-facto-Vetomacht bei nahezu allen weltpolitischen, ökologischen oder militärischen Fragen auch nur auf dem Papier beschneiden könnte. Die US-Regierung kann sich eine neue Weltordnung offenbar nicht als wechselseitig vereinbartes Regelwerk vorstellen, sondern nur als mit allen Machtmitteln durchgesetzte US-Dominanz – Streicheleinheiten und Wohlstandsteilhabe für manche inbegriffen.

So ist die Auseinandersetzung um den IStGH auch eine Debatte um die Sicht auf die Welt. Es wäre noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen, dass nahezu die gesamte EU im Verbund mit etlichen Staaten im traditionellen Hegemonialgebiet der USA den Gerichtshof gegen offene Opposition aus Washington auf den Weg bringt. Europas Politiker mühen sich, die USA wenigstens wieder zu einer Wait-and-see-Position zu bewegen – vergebens.

Der Gerichtshof weckt bei Opfern von Menschenrechtsverletzungen große Hoffnungen. Bevor aber tatsächlich erste Anklagen gegen konkrete Personen erhoben werden, werden viele Opfer aus Den Haag wieder abgewiesen werden – sei es, weil die Taten vor dem heutigen Stichtag verübt wurden, sei es, weil nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, dass keine nationale Justiz „willens und in der Lage“ ist, die Fälle zu behandeln. Auch mit dem IStGH wird es noch ungesühnte Verbrechen geben.

Allerdings ist dafür die Frage, ob der IStGH überhaupt jemals auch nur einen einzigen Fall verhandelt, gar nicht die wichtigste. Denn wenn es nach dem im Statut verankerten „Komplementaritätsprinzip“ geht, steht der Gerichtshof ohnehin nur als letzte Instanz zur Verfügung, wenn die eigentlich zuständigen Rechtssysteme versagt haben. Das Problem liegt hier eher darin, dass etliche Drittstaaten – wie zuletzt Belgien in der letzten Woche – sich mit kaum begründbaren Winkelzügen oder klaren politischen Eingriffen unliebsame Verfahren vom Hals schaffen. Schon Kanzler Schröder lehnte es seinerzeit ab, den in Italien auf deutschen Haftbefehl hin festgesetzten PKK-Chef Abdullah Öcalan auch nach Deutschland ausliefern zu lassen – mit Verweis, ein internationales Gericht solle das Verfahren durchführen. Schröder wusste genau, dass es so ein Gericht gar nicht gab, und doch waren alle erleichtert, Öcalan nicht in Deutschland vor Gericht stellen zu müssen. Das Ergebnis: Öcalan wurde wenig später in die Türkei entführt und zum Tode verurteilt.

Dem hartnäckigen Widerstand der USAgegen internationale Abkommen haftetetwas Paranoides an

Ähnliches wird in den Fällen, um die es beim IStGH geht, in Deutschland nicht so leicht sein. Einen Tag vor dem Rom-Statut ist gestern das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft getreten, das die vom IStGH zu verurteilenden Taten auch in Deutschland justiziabel macht, unabhängig vom Ort des Geschehens und der Nationalität von Tätern und Opfern. Um die Ziele des Rom-Statuts tatsächlich erreichen zu können, brauchen viel mehr Staaten solche Gesetze. Deutschland ist hier tatsächlich Vorbild.

Wenn sich im September zum ersten Mal die Versammlung der am IStGH teilnehmenden Staaten trifft, um Verfahren zur Richterwahl zu klären, Kandidaten zu sortieren und die Finanzierung des Gerichts zu klären, dann muss ein schwieriger Spagat geschafft werden. Es müssen die qualifiziertesten Richter gefunden werden – aber der Gerichtshof darf nicht zu einer europäischen Instanz gemacht werden, die als neue Bevormundung empfunden werden könnte.

Und das bleibt das große Handikap. Mit den USA, China und Russland sind drei Weltmächte nicht dabei – von denen mindestens zwei menschenrechtliche Vorstrafenregister und ungenügende Justizsysteme haben. Die Macht dieser Länder verschafft ihnen eine Sonderstellung – ihr Nichtbeitritt zum Rom-Statut lässt die Vorstellung strafrechtlicher Universalität ausgesprochen schal schmecken. Es obliegt den Verfechtern des IStGH und dem künftigen IStGH selbst, durch politischen Druck und gute Arbeit Standards zu setzen, denen sich auch diese Länder nicht mehr entziehen können. Und das ist eine Aufgabe, die dem militärisch erfreulich schwachen Europa gut zu Gesicht steht. BERND PICKERT

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